Paket 2: So sahen die verschnürten Päckchen bei der Übergabe aus

Weite Reise, rätselhafte Wege – ein Archivbestand kehrt zurück nach Salzburg

Entstehungszeitraum: 1632-1817
Entstehungsort: Salzburg
Objektart: Lose und als Heft gebundene Akten und Korrespondenz
Autor: Diverse Verwaltungsbeamte und Untertanen der Erzabtei St. Peter
Artikel-Autor: Eva Riedlsperger, Dr. Gerald Hirtner
Material: Papier, ungebunden
Größe: 3 Archivkartons
Standort/Signatur: Archiv der Erzabtei St. Peter, Akt 2988 – 2999
Physisch benutzbar: ja
Literatur: 

Die meisten Archivalien des Stiftsarchivs St. Peter kamen auf sehr geregelten Wegen an ihren jetzigen Platz: Sie entstanden in einer Verwaltungsstelle des Stiftes und wurden, nachdem man sie im täglichen Geschäft nicht mehr brauchte, ans Archiv abgegeben, wo sie seitdem aufbewahrt werden. Einige Dokumente allerdings haben verschlungene Wege hinter sich, bevor sie (wieder) ins Archiv kommen.

Ein solcher Fall trat 2018 auf, als das Musikwissenschaftliche Institut der Universität Wien in ihren Beständen Archivalien fand, die ganz eindeutig aus St. Peter stammen. Seit wann sie in Wien lagerten, und wie sie dorthin gekommen waren, konnte nicht mehr festgestellt werden. Nach Durchsicht des Bestandes können wir aber ein paar Vermutungen darüber anstellen.

Als der Bestand seinen Weg nach St. Peter fand, war ein großer Teil davon noch in kleine Pakete verschnürt, ganz so, wie man sie im 18. und 19. Jahrhundert oft aufbewahrt hatte. Nach einer fotographischen Dokumentation der verschlossenen Pakete begannen wir, die Schnüre zu lösen und die Pakete zu entfalten. Von vielen Seiten rieselte einem noch der Schreibsand entgegen, den man früher über die frisch geschriebenen Seiten gestreut hatte, um die Tinte nicht zu verwischen.

Das Ordnen und Erschließen des Bestandes gestaltete sich als Herausforderung: Die Archivalien stammten aus insgesamt drei verschiedenen Jahrhunderten, aus verschiedenen Provenienzen (Herkunftsorte), und betrafen komplett unterschiedliche Themen. Es handelte sich sowohl um Getreidelisten des 17., Bittschriften der Untertanen aus dem 18., und Verwaltungsschriftgut des frühen 19. Jahrhunderts. Das älteste Stück ist ein Gerstenzehentregister von 1632, in dem die Verwaltung des Amtes Viehhausen detailliert auflistet, wie viel Gerste die Bauern dieser Gegend als Abgabe nach St. Peter liefern sollten. Das jüngste Dokument ist das Konzept eines Briefes, in dem man sich über die Aufstockung eines Nachbarhauses der Stiftsbäckerei beschwerte, man befürchtete, dass die Bäckerei so Tageslicht verlieren könnte.

Eine besonders häufige Gattung stellen die Untertanenbitten dar, in denen sich die Bewohner der zum Stift St. Peter gehörigen Gebiete, die dem Stift auch Abgaben schuldig waren, mit Bitte um Zahlungsnachlass an das Kloster wandten. Eine der Abgaben war zum Beispiel die Anlait, die bei der Übergabe eines Hofes an neue Besitzer:innen fällig wurde, etwa nach dem Tod des:der Vorbesitzers:in. Diese Anlait konnte oft nicht bezahlt werden, wenn der übernommene Hof in den ersten Jahren nicht so gute Erträge brachte wie erhofft oder von Naturkatastrophen heimgesucht wurde, dann bat man St. Peter um den Erlass der Gebühr.
Ein solcher Fall ist etwa der von Anna Grundtnerin,[i] die sich im Jahr 1734 an Abt Placidus wandte, weil sie die Anlait nicht zahlen konnte. Sie beschreibt in ihrem Brief, wie sie nach dem Tod ihres Ehemanns Hans Millauer seine Schulden erbte. Mit zwei minderjährigen Töchtern und ohne finanzielle Mittel ließ sie sich zu einer zweiten Eheschließung überreden und kaufte mit ihrem zweiten Ehemann Rupert Grundtner[ii] das Muhrlehen und die Mauthmühle zurück, die nach dem Tod ihres Ehemanns zwangsversteigert worden waren. Damit wurde für sie die Anlait doppelt fällig: einmal durch den Tod ihres Ehemanns, und zusätzlich noch durch den Rückkauf des Hofes bei der Versteigerung. Die durch diese zweifache Besitzveränderung fällig gewordene Gebühr betrug 83 Gulden und 15 Kreuzer. Laut dem Kaufkraftrechner der Universität Salzburg[iii] wäre dies deutlich mehr als der Jahreslohn eines ungelernten Arbeiters und damit eine beträchtliche Summe. Zudem war die gekaufte Mühle einsturzgefährdet und bedurfte einer dringenden Reparatur. In dieser verzweifelten Lage bat Anna Grundtnerin Abt Placidus in einem Brief um Erlass der Anlait.
Auf ihrem Brief erhalten ist außerdem eine Zusammenfassung des Gutachtens, das man in St. Peter zu dem Fall einforderte. Darin empfahl der Beamte die Reduzierung der Schuld auf 70 Gulden. Abt Placidus gab daraufhin die Anweisung, nach dem Gutachten zu verfahren.

Fälle wie dieser sind ein wunderbarer Einblick in die Sozialgeschichte vergangener Jahrhunderte, und durch die Rückgabe der Archivalien an St. Peter und die Erschließung im Archivinformationssystem können sie der Forschung zugänglich gemacht werden. Im Zuge der Aufarbeitung des Bestandes wurden viele Personen- und Hofnamen erfasst, die jetzt Interessent:innen der Ahnenforschung und Hofgeschichte dienen können.

Noch immer nicht geklärt ist allerdings, wie die Archivalien an das Musikwissenschaftliche Institut gelangen konnten. Es handelt sich dabei nicht um prachtvoll ausgestattete Bücher mit hohem monetärem Wert, und auch nicht um einen ausgewählten Selekt zu einem einzelnen Thema, der an ein bestimmtes Forschungsprojekt denken lässt.

Zwei Möglichkeiten sollen hier vorgestellt werden: In den 20ern des letzten Jahrhunderts studierte in Wien Pater Maurus Schellhorn aus St. Peter am Institut für Österreichische Geschichtsforschung und promovierte bei dem Musikwissenschafter Prof. Robert Lach[iv], dem er möglicherweise einen möglichst diversen Bestand an Archivalien, der allerdings nicht sehr wertvoll war, zur Verwendung in einer Übung im Institutskurs, überlassen hat.

Eine zweite Verbindung nach Wien kommt durch Pater Friedrich Hermann zustande, der etwa ein Jahrzehnt nach Maurus Schellhorn ebenfalls am Institut für Österreichische Geschichtsforschung studierte. Er könnte den Bestand nach Wien mitgenommen haben, um ihn zu erschließen und um damit zu arbeiten.

Trotz ihres rätselhaften Abstechers nach Wien sind die Archivalien jetzt also in Salzburg angekommen und stehen im Speicher des Archivs, wo sie als spannendes Beispiel für die Verwaltungskultur des Klosters dienen.

Folgende Akten stehen den Benützer:innen des Archivs der Erzabtei St. Peter ab sofort neu zur Verfügung:

Akt 2988 Rechnungsunterlagen und Listen zum Amt Abtenau
Akt 2989 Untertanen- und Parteisachen zum Amt Eching
Akt 2990 Untertanen- und Parteiensachen zum Amt Pinzgau
Akt 2991 Untertanen- und Parteiensachen, Zehente und Abgaben zum Amt Pongau
Akt 2992 Gerstenzehentregister und Fällgenehmigung Amt Viehhausen
 Akt 2993 Schonung von Bäumen und Holzbewilligungsscheine Amt Weildorf
Akt 2994 Untertanenbitten, Verwaltungskorrespondenz, Rechnungen, Amt Weißenbach bei Kuchl
Akt 2995 Rechnungen, Korrespondenzen aus dem Munizipialamt Salzburg
Akt 2996 Rechnungen der Wirtschaftshaltung des Klosters, Temporalia
Akt 2997 Urkundenabschriften und Findbehelfe
Akt 2998 Untertanenbitten an Abt Placidus aus verschiedenen Ämtern
Akt 2999 Varia der Akzession Universität Wien (Akz. 2018/03)


[i] Vgl. ASP, Akt 2990/1.

[ii] Vgl. Pfarre Saalfelden, Trauungsbuch III, S. 79. (Trauungsbuch – TRBIII | Saalfelden | Salzburg: Rk. Erzdiözese Salzburg | Österreich | Matricula Online (matricula-online.eu))

[iii] Salzburger Kaufkraftrechner 1477-2020 – Projekte und Publikationen (sbg.ac.at)

[iv] Vgl. Hirtner, Gerald: Maurus Schellhorn OSB, 1888-1973, S. 331-341 in: „… und mit dem Tag der Zustellung dieses Erlasses aufgelassen“. Die Aufhebung der Katholisch-Theologischen Fakultät Salzburg 1938, hrsg. von Alois Halbmayr und Dietmar W. Winkler. Innsbruck/Wien 2022. S. 335.