Im Frühjahr 2012 konnte in einem Salzburger Antiquariat ein Stoß Kirchenmusik aus dem 19. Jahrhundert aus der Pfarre Wagrain für das Archiv der Erzdiözese erworben werden. Bei näherer Durchsicht stellte sich heraus, dass sich darin neben zahlreichen Kirchenmusikalien aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts drei Autographen von Franz Xaver Gruber (1787–1863), die der mündlichen Überlieferung zufolge aus dem Besitz von Joseph Mohr stammen sollen, befanden. Während zwei der autograph überlieferten Werke im Gruber-Werkverzeichnis bereits nachgewiesen sind, stellt die vorliegende Deutsche Landmesse einen Neufund dar.
Joseph Mohr wurde am 11. Dezember 1792 als drittes uneheliches Kind der Strickerin Anna Schoiber in Salzburg geboren. Dank der Unterstützung des Domchorvikars Johann Nepomuk Hiernle besuchte er zunächst das Gymnasium in Salzburg, dann in Kremsmünster und trat 1811 ins Priesterseminar ein. Nach Abschluss seines Theologiestudiums erhielt er am 21. August 1815 die Priesterweihe. Nach Anstellungen in Ramsau und Mariapfarr kam er im August 1817 als Kooperator nach Oberdorf, wo er aufgrund seiner musikalischen Neigungen, schnell Freundschaft mit dem Lehrer in Arnsdorf und seit 1816 Organisten an der Kirche St. Nikolaus in Oberndorf, Franz Xaver Gruber (1787–1862), geschlossen haben dürfte. Das wohl wichtigste Ergebnis dieser Freundschaft war das Weihnachtslied „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ das in der Christmette 1818 in Oberndorf zum ersten Mal zur Aufführung kam. Bereits 1819 wurde Joseph Mohr nach Kuchl versetzt, wobei ein Männerquartett unter der Leitung von Franz Xaver Gruber ihm den Abschied versüßte:
„H. Mohr ist wirklich nach Kuchl gekommen. Den 19. D. M. begleitete H. Unterberger, Ehrmann u. ich ihn nach Salzburg. Ich machte ihm ein 4stimmiges Abschidslied, das ihn so sehr rührte, daß er wie ein Kind weinte. Die Trennung fiel ihm so schwer, daß er sich ein eigenes Zimmer geben ließ, sich niederlegte, und sichs verbath, ihn zu stören“ (Brief Franz Xaver Grubers an Joseph Peterlechner, 21. Okt. 1819, Keltenmuseum Hallein, Stille Nacht Archiv.)
Franz Xaver Gruber war spätestens seit 1820, als der bei der Säkularfeier der Kirche Maria im Mösl in Arndorf mit einem Orchester aus 50 Musikern „Messen, Litaneien und Oratorien aufgeführt [hatte], die jeder Cathedralkirche Ehre gemacht haben würden“, in der Gegend als ausgezeichneter Musiker bekannt. Bereits 1819 hatte Johann Baptist Weindl, seines Zeichens Chorregent der Stadtpfarr-Musikanten in Salzburg, eine deutsche Litanei von Gruber für seine Musiker abgeschrieben. Es ist durchaus möglich, dass Gruber einige seiner Kompositionen seinem ebenso musikbegeisterten Freund Joseph Mohr nach Wagrain schickte, als dieser dort 1837 Vikar wurde. Beide der mit der Deutschen Landmesse erworbenen Autographe Franz Xaver Gruber sind laut Werkverzeichnis zu Lebzeiten Joseph Mohrs entstanden, die Deutsche Vesper in D-Dur „Kommt, ihr Christen! Gott zu preisen” (GWV 80) ist laut Partiturautograph im Februar 1843 entstanden, das Deutsche Requiem vor 1835 zu datieren. Da die nun aufgefundenen Stimm-Abschriften beider auf dem gleichen Papier wie die Stimmen Deutsche Landmesse geschrieben sind, ist wohl auch diese Abschrift zwischen 1835 und 1848 – dem Jahr, in dem Joseph Mohr an den Folgen einer Lungenlähmung, die er sich auf einem seiner Versehgänge im winterlichen Wagrain zugezogen hatte, starb – zu datieren. Es spricht also nichts gegen die mündliche Überlieferung, die Deutsche Landmesse habe sich, wie die beiden anderen Abschriften Grubers, im Besitz von Joseph Mohr befunden.
Die Deutsche Landmesse „Hier steht vor deiner Majestät“ mit volkliedhaften Zusammenklang der Oberstimmen und der einfachen Begleitung. steht in einer Tradition, die mit der Einführung des deutschen Kirchengesanges, respektive des bereits 1781 in Salzburg erschienenen Gesangsbuches Der Heilige Gesang zum Gottesdienste in der Römisch=Katholischen Kirche „in allen Kirchen unsers Fürstlichen Erzstiftes, wo keine ordentlicher Chor gehalten wird (also nur mit Ausnahme der Stifts= und Klosterkirchen)“ durch Fürsterzbischof Hieronymus Colloredo 1783 begonnen hatte. Weil die Kritik daran nicht verstummen wollte, sah sich der Erzbischof genötigt, Johann Michael Haydn mit einer musikalischen Revision der Publikation zu betrauen, die schließlich 1790 in einer „vermehrte[n] und verbesserte[n] Auflage“ erschien. In ihrer leicht zu verwirklichenden, aber auch erweiterbaren, Besetzung mit zwei Oberstimmen und Orgel, gegebenenfalls noch Kontrabass, und ihrer schlichten Frömmigkeit wurde Haydns deutsche Kirchenmusik Vorbild für Generationen von Musiker, darunter Franz Xaver Gruber, die im 19. Jahrhundert kirchliche Gebrauchsmusik komponierten.