Am 15. April 1981 organisierte der österreichische Dirigent Herbert von Karajan (1908‒1989) im Salzburger ORF-Landesstudio eine Pressekonferenz um der Welt ein neues revolutionäres Medium, das Compact Disc Digital Audio System oder kurz die CD, vorzustellen. Auf Einladung Karajans, der an der Realisierung des neuen Mediums aktiv teilgenommen hatte, präsentierten die CD ihre Entwickler und Produzenten, Akio Morita (1921-1999), Mitbegründer und Präsident von Sony, Joop van Tilburg, Leiter der Philips Audio Division und Richard Busch, Geschäftsführer der PolyGram. Zu hören ist hier ein Ausschnitt aus dieser Pressekonferenz, der den ausführlichen Kommentar Karajans enthält.
„Ein Wunder“: Mit diesem Wort bezeichnete Herbert von Karajan die Entwicklung der neuen Aufnahmetechnik. Der große Musiker, aber auch der Amateurwissenschaftler und -techniker, verstand von Anfang an, dass die radikale Änderung des Klangaufnahme- und -wiedergabe-Prinzips, indem die Klanginformationen nicht mehr als analoge Kopie der Schwingungen – wie es seit Entstehung der Schallplatte üblich war – gespeichert, sondern in Myriaden von Ziffern codiert wurde, neue Horizonte in der Welt der ‚recording musicʻ eröffnet: Nun konnte man mit den Klängen auf eigene Art und Weise umgehen und beliebige Konzeptionen auf das neue Medium übertragen.
Für die Charakteristik dieser neuen technischen Möglichkeiten verwendete er das mehrdeutige Wort: Manipulieren. „Dieses in unserem Sinne positive Manipulieren ist genauso wichtig, wie das Dirigieren selbst“ – hebt er während der Salzburger Pressekonferenz besonders hervor und bringt, um seinen Gedankengang zu veranschaulichen, eine seiner Lieblingseinspielungen zur Sprache: Die Variationen op. 31 von Arnold Schönberg. Mit den Berliner Philharmonikern aufgenommen, gehörte diese Schallplatte zu einem seiner eigenen Klang-Experimente, dessen Schaffensprozess einer der Zeitgenossen Karajans, Wolfgang Stresemann, ausführlich beschreibt: „Man benutze Extra-Mikrophone für hervorzuhebende Stimmen, die aus Gründen der Instrumentation nicht hinreichend zu hören sind, setze einzelne Orchestermitglieder entsprechend um, experimentiere, bis sich das gewünschte Klangbild einstellt“ – aber ein solches Klangbild selbstverständlich, nach dem der Komponist verlangt. Ein auf den ersten Blick ganz einfaches ‚Rezeptʻ, das jedoch im damaligen Studio gar nicht einfach realisierbar war: Die Aufnahme dieses insgesamt nur etwa zwanzig Minuten dauernden Werkes zog sich von Dezember 1972 bis Februar 1974! Nun aber wurde der Prozess des Klangmanipulierens wesentlich vereinfacht und beschleunigt.
Faszinierend fand Karajan auch die nun ermöglichte, neue dynamische Bandbreite. Wolfgang Gülich, sein langjähriger Toningenieur, erinnerte sich, dass der Musiker immer „eine natürliche Dynamik über die Platte rüberbringen“ wollte. „Und das geht nicht!“ – protestierte damals der prominente Tonmeister. Früher wirklich unerreichbar, befand sich nun dieses Ziel viel näher: Die erfundenen CD-Spieler, die unter anderem im Rahmen der Pressekonferenz präsentiert wurden, waren in der Lage, den gesamten Komplex der Klangfarbe, Tonhöhe und Lautstärke auf einem solch hohen, digitalen – statt analogen – Niveau zu decodieren, dass die Qualität der Aufnahmen nicht verloren ging. Um diese Eigenschaft zu demonstrieren, bereitete Karajan vier Tonbeispiele vor, die während der Präsentation abgespielt wurden. Die meisten sind seinen eigenen Digital-Veröffentlichungen der Deutschen Grammophon bzw. Philips entnommen worden: Die Bühnenmusik aus dem 1. Akt des Parsifal von Richard Wagner, ein Ausschnitt aus dem 1. Akt der Zauberflöte von Wolfgang Amadeus Mozart sowie das Finale des 3. Aktes des Falstaff von Giuseppe Verdi. Eines der Tonbeispiele – vielleicht sogar jenes mit dem breitesten klanglichen Spektrum – wurde von Karajan extra aufgenommen: Ein Ausschnitt aus dem Schlussstück (Das große Tor von Kiew) des Zyklus von Modest Mussorgsky, Bilder einer Ausstellung, in der Instrumentierung von Maurice Ravel.
Neben den enormen Möglichkeiten im Klang, die das neue Wiedergabeverfahren bietet, wies Karajan in der Pressekonferenz zukunftsweisend auf einen Trend hin: „In der heutigen Zeit ist die Freizeitgestaltung natürlicherweise sehr gebunden an das, was man hört“ – mit dieser generellen Feststellung beginnt der Dirigent seinen Kommentar zur CD. Den Alltag mit der Musik zu umgeben, sie beim Spazierengehen oder im Auto zu hören, gehörte zu jenen aktuellsten Tendenzen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Karajan sehr gut erfasste. Nicht zufällig macht er vor allem auf das Design bzw. die Größe des erfundenen Mediums: Kompakt und relativ leicht, bringt die Konstruktion der CD sowie der CD-Player die gewünschte Mobilität, die mit Plattenspielern undenkbar war.
Seit Karajan einen Prototyp des CD-Players im Privathaus von Akio Morita, dem Präsidenten von Sony, gesehen und gehört hatte, war er von der neuen Technologie fasziniert. Es war ihm ein großes Anliegen die Bedeutung dieser Innovation der Öffentlichkeit näherzubringen: „I really think that it is necessary for the people, who are concerned with music, to have a clear view of the whole subject and therefore I would prefer that you decide for a demonstration of the first system“ – schrieb er schon im Mai 1980, als das System sich immer noch im Entwicklungsstadium befand, in einem seiner Briefe Akio Morita, ̶ “The buying public will then know what to do, because only a small percentage is aware of the technical facts for the future. The average buyer thinks that when on a record is the stamp ‘digital’ he has already a superior quality.” Dieser Idee nachgehend, bestand der Dirigent darauf, die neue Technologie ein Jahr später in seiner Heimatstadt zu präsentieren. Und schon im selben Jahr der Präsentation, 1981, begann die Produktion der CD mit seiner Aufnahme der Alpensinfonie op. 64 von Richard Strauss, die im Jahr darauf, 1982, für jedermann erhältlich war. Die Veröffentlichung dieser ersten Compact Disc in der Geschichte der klassischen Musik symbolisierte gleichzeitig den Anfang einer neuen Ära in der Geschichte der ‚recording musicʻ: Der Ära der digitalen Aufnahme und Wiedergabe. Keine Übertreibung wäre es zu sagen, dass die Entwicklung dieser Technik unser Leben für immer veränderte. Und jeder von uns kann sich wohl den Worten Herbert von Karajans anschließen: „Wir sind dankbar, dass es geschehen ist“.