Wo drückt der Schuh? Ein Blick in das Rezeptbuch aus der kleinen Kärntner Propstei Wieting im Görtschitztal, ab 1147 zum Kloster St. Peter gehörig, erweist sich diesbezüglich für das frühe 17. Jahrhundert als sehr aufschlussreich. Hier begegnen einem allerlei Heilmittel, die gegen diverse Beschwerden empfohlen und verschrieben wurden.
Bei der vorliegenden Handschrift handelt es sich um eine Sammlung von medizinischen Rezepten, die zur Behandlung von zahlreichen Krankheiten und Gebrechen dienten. Sowohl äußere Verletzungen wie Schnitte, Stiche oder Tierbisse als auch innere Leiden (Kopfschmerzen, Magenleiden, Nierensteine etc.) werden abgehandelt. Überdies wird auf die Therapie von Frauenleiden und Medizin für Kinder eingegangen. Das Arzneimittel wird dabei in Pulver- oder flüssiger Form (Sirup, Öl, Wasser), als Salbe oder Pflaster zubereitet. Häufig dient Alkohol (Wein oder Branntwein) aufgrund seiner desinfizierenden Wirkung als Trägerstoff. Als Zutaten treten außerdem verschiedenste Gewürze, Kräuter, Beeren und Blumen auf, wobei teilweise auch angegeben wird, zu welcher Jahreszeit diese zu sammeln sind. Ein sehr einfaches Rezept gegen Magenschmerzen lautet beispielsweise wie folgt:
„Nim gesottnen wermueth mit Bämöll[1] vnd Bestreich den Bauch darmit das Hilfft dem kranckh Magen vnd der leber die böß Ist es vertreibt auch alle boße Ding Im Magen Macht ain wol schmeckhenden Mundt vnd vertreibt die würm In den ohren.“[2]
Einträge wie „Maister hannß von Geppingen Stich Pflaster“,[3] „Kaiser Maximillians Leib docter“,[4] „Herrn Doctor Fleckhs“,[5] oder „Herrn Dockhter Springer“[6] deuten auf eine Rezeption beziehungsweise Abschrift von damals existierender medizinischer Fachliteratur hin. Die auf diese Weise nachvollziehbaren Wissenstraditionen gehen über Albertus Magnus (um 1200–1280)[7] bis auf Socrates (469–399 v. Chr.)[8] zurück. Gleichzeitig finden sich allerdings nur wenige lateinische Passagen, was vermuten lässt, dass die Schreiber weniger im akademischen Umfeld und eher in der sogenannten Volksmedizin zu suchen sind. Dafür sprechen auch Belege, denen zufolge mündliches Wissen und eigene Erfahrung niedergeschrieben wurde.[9] Gerade im Bereich der Geburtsmedizin und des Hebammenwissens ist dies festzustellen. Dabei stellen zwei Zaubersprüche gegen Hundebisse[10] den wohl eindrücklichsten Beleg für alternative Heilpraktiken dar. Einige wenige christlich-religiöse Passagen sind ebenfalls enthalten, etwa wenn im Zusammenhang mit einem der Zaubersprüche verlangt wird: „Beth darauf 5 Vatter vnnser 5 Aue Maria vnnd Ain glauben“;[11] oder der Hinweis „… es hillfft mit der Gottes Hilff vnd ist bewertt“.[12]
Wie bereits angedeutet, ist die Handschrift anonym überliefert, wobei speziell im zweiten Teil viele unterschiedliche Schriftbilder auszumachen sind. Dies deutet auf mehrere Schreiber hin, die im Umfeld der von St. Peter in Salzburg verwalteten Propstei zu vermuten sind. Der Befund des Wasserzeichens hat ergeben, dass das Papier um 1603 in Klagenfurt produziert worden ist.[13] Es ist anzunehmen, dass auch die Handschrift um diese Zeit entweder in der Propstei Wieting oder im näheren Umfeld entstanden ist.[14] Dies wird durch den Hinweis[15] auf Christoph Andreas von Spaur (1543–1613), der von 1573 bis 1603 Gurker Bischof war und in Straßburg/Kärnten residierte, gestützt. Rezepte gegen die „Pestillennz“ könnten einen weiteren Anhaltspunkt für den Entstehungszusammenhang geben, da diese zwischen 1597 und 1601 in Salzburg beziehungsweise Wieting gewütet hat.[16] Zahlreiche später zu datierende Einträge und Kommentare sprechen für eine aktive Verwendung.[17]
Die Propstei Wieting geht auf eine Schenkung an das Kloster St. Peter aus dem Jahr 1147 zurück und diente bis zur Grundentlastung 1848 als Verwaltungssitz der Kärntner Besitztümer des Klosters. Noch heute gehören Kirche, Amtshaus und Propsthof zu St. Peter. Als Seelsorger und Verwalter wurden bis 1432 und ab 1625 Ordensangehörige aus Salzburg eingesetzt. In der Zeitperiode dazwischen wurde das Amt an weltliche Priester vergeben.
Abschließend lässt sich festhalten, dass die ca. 750 bis 800 Rezepte einen guten Einblick in das Wissen und die Heilspraktiken der Volksmedizin im Kärntner Raum im (frühen) 17. Jahrhundert liefern. Des Weiteren erschließt sich die Pathologie, das heißt die Symptome und Krankheitsbilder jener Zeit.
[1] „Bämöll“ bedeutet Baumöl, unter diesem Begriff wird das Olivenöl verstanden.
[2] ASP, Hs. 73, fol. 187.
[3] ASP, Hs. 73, fol. 114; vgl. auch „Noch Ain Stich Pflaster Maister Hannsen von Geppimigen“, Hs. 73, fol. 117; wurde vermutlich aus älterer Literatur abgeschrieben, ev. aus Johann Stocker (1530), Index herbarum ex uariis autoribus collectus, fol. 57: „Ein stichpflaster maister Hannsen von Geppingen“, München, Bayerische Saatsbibliothek, Lat. 24130.
[4] ASP, Hs. 73, fol. 144.
[5] ASP, Hs. 73, fol. 239.
[6] ASP, Hs. 73, fol. 293.
[7] „Alberty Mangy schreibt in seinem Buch …“, ASP, Hs. 73, fol. 292.
[8] „Vngentum Socrates“, ASP, Hs. 73, fol. 132.
[9] „Von der Fraun gostmaystanin Erfahen wan das Khind auß denen ersten bodt gebodt wierd…“, ASP, Hs. 73, fol. 302; „Ein dranckhel zu Richten wan einer die Rosen aus pleibt wie volgt, hab solliches selber gebraucht“, ASP, Hs. 73, fol. 298.
[10] ASP, Hs. 73, fol. 135.
[11] ASP, Hs. 73, fol. 135.
[12] ASP, Hs. 73, fol. 17.
[13] Vgl. Eintrag in Wasserzeichendatenbank (http://www.wasserzeichen-online.de/wzis/?ref=DE6300-PO-21514) (06.10.2016)
[14] „Mer ain küttinasafft von der Schenckhin von Limberg“, verweist etwa auf die Gemeinde Limberg/Kärnten (PLZ 9112), ASP, Hs. 73, fol. 24.
[15] „Bischof Christoffs zu Straßburg Stich Pflaster“ ASP, Hs. 73, fol. 118.
[16] Vgl. Josef Höck, Geschichte der Propstei Wieting im Görtschitztal, Kärnten (1147–1848), Salzburg 1979, 75–77.
[17] „Albert Artmann hat es gelesen“, Eintrag ASP, Hs. 73, fol. 81.