Salzburg im Biedermeier

  • Entstehungszeitraum: 1826/28
  • Entstehungsort: Salzburg
  • Objektart: Gemälde
  • Autor/Künstler: Johann Michael Sattler
  • Artikel-Autor: Nikolaus Schaffer
  • Material/Technik: Öl auf Leinwand
  • Größe: Bildnis der Frau Bscheidl: 63 x48,5cm, Dreifaltigkeitsgasse: 125x100,5cm
  • Standort/Signatur: Salzburg Museum Inv.-Nr. 43-30 und Inv.-Nr. 51-25
  • Physisch benutzbar: nein
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Salzburg im Biedermeiermeier, das war Salzburg im Dornröschenschlaf. Seit der endgültigen Zugehörigkeit zu Österreich war Salzburg zur Provinzstadt abgestiegen. Der Maler Johann Michael Sattler (1786-1847) malte – neben seinem bekannten Panorama der Stadt – eine Reihe von Bildern, die diese Epoche darstellen. So auch seine Ansicht der Dreifaltigkeitskirche und das Bildnis von Frau Bscheidl.

Zehn Jahre nach dem verheerenden Brand, der gerade in diesem Teil der rechtsseitigen Stadt wütete, sieht es auf Johann Michael Sattlers Bild der Dreifaltigkeitsgasse in Salzburg wieder so aus, als wäre nie etwas geschehen. Nur noch die provisorischen Zeltdächer der beiden Dreifaltigkeitskirchtürme erinnern an die Katastrophe vom 30. April 1818.

Nicht verwunden waren freilich die Folgen der Degradierung Salzburgs zur Provinzstadt, die mit der Zugehörigkeit zu Österreich (seit 1816) besiegelt wurde – auch das kann man aus dieser getreulichen Schilderung Salzburger Straßenlebens herauslesen. Der sonntäglich aufgeräumte Zustand, in den es eine säuberlich-pedantische Malweise versetzt, unterstreicht den Eindruck, dass hier alles zum Stillstand gekommen ist. Das Treiben auf einer der wichtigsten Einfallstraßen gerät zur kleinstädtischen Idylle, die sich angesichts der großmächtigen Architekturkulisse umso dürftiger ausnimmt. Aber gerade das dornröschenhafte Dahindämmern, der Kontrast zwischen einst und jetzt, zwischen Palastfassaden und verschlafener Staffage, macht den romantischen Kitzel aus, der eine neue Spezies von Besuchern in steigender Zahl nach Salzburg lockte.

Johann Michael Sattler (1786-1847) malte für den Touristen von morgen und hatte damit erstaunlich spürsinnig erkannt, wo Salzburgs Zukunftschancen lagen. Als Ergänzung zu seinem riesigen Rundgemälde von Salzburg, das ab 1829 in ganz Europa Furore machen sollte, präsentierte dieser erste Werbetrommler für Salzburgs Schönheit noch eine ganze Reihe kleinerer Bilder von solchen Motiven, die durch den Blickpunkt des Panoramas von der Festung aus verdeckt oder vernachlässigt wurden oder überhaupt außerhalb dessen Reichweite lagen.

Die Festung Hohensalzburg, die als Standort diente, wurde als Anhang zum Panorama ebenso angeboten wie der Residenzplatz und die Pferdeschwemme, außerdem Ansichten aus der weiteren Umgebung, wie Werfen, Gmunden und Berchtesgaden. Als siebte Station dieser sogenannten „optischen Zimmereise“ war die „Ansicht der Dreyfaltigkeitskirche zu Salzburg“ zu sehen.

Die „Kosmoramen“ genannten Bilder, anfangs zwölf an der Zahl, waren mehr oder weniger gleichzeitig mit dem Panorama entstanden, ihre Anzahl vergrößerte sich noch während der aufsehenerregenden Tournee der Sattler-Familie auf 32.

Damals erprobte sich auch der kaum sechszehnjährige Sohn Hubert erstmals im väterlichen Sujet. Er schuf eine stark verkleinerte, aber bis ins letzte exakte Kopie des Bildes der Dreifaltigkeitsgasse in Gouache-Technik (heute im Besitz der Residenzgalerie) und empfahl sich mit diesem Gesellenstück für das Fach des Reisemalers. Als Hubert Sattler (1817-1904) seinen mit Sehenswürdigkeiten aus allen Teilen der Welt angereicherten Bilderschatz der Stadt Salzburg 1870 zum Geschenk machte, war die Zahl der Kosmoramen auf 127 angewachsen.

Das Bild der Priesterhaus- oder Dreifaltigkeitsgasse gelangte hingegen auf anderen Wegen an das Salzburg Museum, nämlich 1885 als Vermächtnis des Kunstfreundes Kardinal Friedrich Fürst Schwarzenberg (1809-1885). Er hatte es sich zur Erinnerung an seine von 1836 bis 1850 währende Salzburger Regentschaft als Erzbischof mit nach Prag genommen.

In Sattlers Vedute verbindet sich klassizistische Konvention, wie sie seiner Schulung an der Wiener Akademie entsprach, mit einer neuen geschärften Sehweise, die vor allem am Detail haftet. Das rationale Kalkül lässt das perspektivische Gefälle etwas überzogen erscheinen, sodass der räumliche Illusionismus noch an den eines Guckkastens erinnert. Dem Lodron- oder Mitterbacherbogen (abgerissen 1891/92) unter dem der Betrachter steht, kommt dabei die Funktion eines Bühnentors zu. Warme Farbgebung und eine fast „konstruktivistische“ Qualität der Bildaufteilung schaffen den Ausgleich zur schematisch wirkenden Raumkonzeption. An die Praxis des Guckkastens gemahnt ebenso die Ankündigung des Schaustellers Sattler, dass „auch bey trüben Tagen die Bilder noch immer von der Sonne erleuchtet zu seyn scheinen“. Diesen illuministischen Effekt hat der Künstler durch die ausgesparte Dunkelzone der Bogenrahmung, die verschattete Palastfront und den über die gesamte Straßenbreite geworfenen Schlagschatten vorbereitet: nur ein relativ kleiner Bildausschnitt erscheint voll, aber umso effektvoller belichtet.

Die Sichtachsen fluchten, vor allem von der Monotonie der Fensterachsen und der Randsteine angetrieben, im „Nadelöhr“ des Sauterbogens. Dieses Gebäude hat im Gegensatz zum 1892 dem Verkehr geopferten Mitterbacherbogen sein Aussehen bis heute unverändert bewahrt. Neben dem Dachreiter der 1862 abgerissenen gotischen Andreaskirche geben die Silhouetten von Domkuppel und Festung einen zarten verschwebenden „Point de vue“ (dt. Blickpunkt) ab. Die barocke Geschlossenheit und strenge architektonische Einheit des Ensembles ist noch voll gewahrt. Auf den schon zu fürstlichen Zeiten weitgehend brachliegenden Riesenkomplex des Lodron´schen Primogeniturpalastes, der heute nur mehr als Attrappe steht (seit einem Umbau 1974 sind nur mehr die Außenmauern historisch), folgt das städtische Versatzhaus (Leihhaus), das bis 1907 die Sicht auf die Dreifaltigkeitskirche vom Marktplatz her verstellte. Als Georg Pezolt (1810-1878) circa zehn Jahre nach Sattler fast den identischen Blickwinkel für ein Blatt seiner lithographischen Ansichtsserie wählte, trugen die Türme der Dreifaltigkeitskirche bereits die gewohnten flachen Kuppelhauben. Im daran anschließenden Graf Uiberacker´schen Haus (heute: Spänglerbank, Markatplatz 6) auf Nummer 516 hatte die Malerfamilie Sattler selbst ihre Wohnung. Zum Lodron´schen Besitz gehörte auch das an der Ecke zur Bergstraße gelegene Hofwirtshaus, das als „Gasthof zum Regenbogen“ und später „Hotel zum römischen Kaiser“ (heute: Hypobank, Dreifaltigkeitsgasse 16) noch bis in unser Jahrhundert hinein zu den führenden Häusern der Stadt zählte. Daran schlossen sich damals noch ausgedehnte Gärten bis zum Loreto-Kloster an.

Für Lokal- und Zeitkolorit sorgt eine ländlich durchwachsene Statisterie, die beim auswärtigen Publikum als exotische Note besonders gefragt gewesen sein dürfte. Volkstypen wie der Salzburger Bauer, das Milchmädchen (im Mittelgrund mit dem Karren) und die Marktweiber, die ihre Naturalien auf den Stufen des Palais´ ausgebreitet haben, durften auf keinen Fall fehlen. Als etwa zur selben Zeit ein heimischer Maler – Johann Wurzer (1760-1838) – sein Bild von zwei Salzburger Marktfrauen malte, hat er seine „Modelle“ nicht unweit von hier angetroffen. Typisch biedermeierlich daran ist nicht nur die Vorliebe für das niedere Volk, sondern auch ein Übereifer am getreulichen Festhalten jeder Einzelheit, der bewusst von der bisher vorherrschenden barocken Großzügigkeit abrückt. In dieser gewissermaßen kindlichen Entdeckungsfreude keineswegs großer Meister ihres Faches entdecken wir heute die Reize wahrhaft naiver Kunstwerke.

Die nach neuester Mode mit Goldhauben geschmückten Bürgerinnen, der Bürgergardist und die dem Priesterhaus zu- und entströmenden Alumnen gehören ebenso zum damaligen Straßenbild wie das rechts vorne am Treppensatz kauernde Bettelweib. Wenn sich Sattler junior in seiner Wiederholung des Bildes eine einzige Freiheit erlaubt hat, so war es die, die Vettel (=ungepflegte alte Frau) durch eine blühende junge Mutter auszutauschen. Ganz vorne ziehen zwei „Betschwestern“ die Aufmerksamkeit auf sich. Vater Sattler unterstrich die Authentizität seines Bildes, wenn er in ihm zwei bejahrte Einwohnerinnen konterfeite, von denen wir die linke sogar namentlich kennen. Die obere Partie ist identisch mit dem Portrait einer gewissen Frau Bscheidl (eventuell aus der gleichnamigen Fleischhackerfamilie, wohnhaft in der Linzergasse), das Sattler 1826 gemalt hat und das sich heute ebenfalls im Salzburg Museum befindet.

Man darf nicht vergessen, dass der Architekturmaler Sattler, als er sich 1819 in Salzburg niederließ, zunächst als Altarbildmaler (für die 1818 ausgebrannte Sebastianskirche) und Porträtist reüssierte. Letztere Domäne war ihm nach dem Tod von Franz Xaver Hornöck (1751-1822) und dem Weggang von Barbara Krafft (1821) zugefallen. Immerhin saß ihm sogar Kaiser Franz I. bei seinem neuntägigen Aufenthalt 1821 in der Residenz als Porträt Modell, eine Gelegenheit, bei der die Idee zum Salzburg-Panorama geboren worden sein soll.

Als Porträtist gehört Sattler zu jener Generation, die auch die letzten spätbarocken Verbindlichkeiten mit ihrer nahezu unbarmherzigen Sachlichkeit ausmerzte. Dieser schonungslose Wille zur physiognomischen Wahrhaftigkeit machte auch vor dem Alter nicht halt. Mit derselben gleichmäßigen Genauigkeit werden Feinheiten und Fältelungen des Gewandes wie des Gesichts behandelt. Nicht der leiseste Anflug mildernden seelischen Ausdrucks lenkt von der nackten Objektivität der Züge ab – daher die bohrende Starrheit, daher aber auch eine Intensität und ohne äußerliche Hilfsmittel auskommende Würde der Erscheinung, wie sie in der an Zugeständnissen und Eitelkeiten reichen Geschichte der Porträtkunst selten ist. Darüber hinaus gilt dieses Altfrauenbild als ein Musterbeispiel dafür, wie die traditionelle Salzburger Bürgertracht ausgesehen hat. Die schwarze Berghaube mit dem seitlich hervorragenden Ohrenspitzen, schwarzes Halstuch und ausladender rechteckiger Spitzenkragen sowie Flossenärmel kleiden Frau Bscheidl noch ganz streng in der Art des 18. Jahrhunderts. Als Ganzfigur zeigt sie auch den an der Kette hängenden Besteckköcher.

Vom gemächlichen Straßenbild, dessen Reize Sattler auskostet, zu Depression und Verfall war es nur ein Schritt im biedermeierlichen Salzburg. Nicht nur mit seinem großen Panorama, auch mit den kleinen Stadtansichten gibt Sattler ein Dokument barocker Unversehrtheit am Vorabend der industriellen Revolution – die Salzburg noch eine ziemlich lange Schonfrist gewähren sollte. Das herbstlich vergoldete Licht verklärt eine schon sehr nüchtern erfasste Szenerie zur Elegie auf Salzburgs große Vergangenheit.