„(…) und damit hat die an alter Kunst so unausschöpfbar reiche Stadt auch wieder ein wertvolles Dokument moderner Kunst gewonnen, das nicht nur von den Fremden als neue Salzburger „Sehenswürdigkeit“ aufgesucht, sondern auch, wie ich mich durch den Augenschein überzeugen konnte, von Leuten aus dem Volke mit einer wahren Andacht stundenlang studieren wird.“
Mit diesen Worten beschrieb der Kunsthistoriker Hermann Ubell die neue Gestaltung des Salzburger Volkskellers (heute Pitterkeller) aus dem Jahre 1912 in der Zeitschrift „Kunst und Kunsthandwerk“ (1914, S. 65-78). Als herausragendes Beispiel des Wiener Jugendstils in Salzburg im Original leider nicht mehr erhalten, finden sich im Bestand des Salzburg Museum Teile der Wandbemalung in Form von Bildpostkarten.
Das Salzburg Museum verfügt über eine Sammlung von ca. 34.000 Bildpostkarten, hauptsächlich zur Topografie von Stadt und Land Salzburg. Darunter befinden sich aber auch zahlreiche Künstlerpostkarten, deren Motive über die einfache Abbildung von Bauwerken und Landschaften hinausgehen. Vier dieser Karten sind Bestandteil einer 10-teiligen Kartenreihe der Wiener Werkstätte, auf denen Berthold Löfflers Wandmalereien im Volkskeller dargestellt werden.
„Es existiert – zumindest in Österreich – kein Etablissement, welches so apart und originell ist“[1] So titelte die Salzburger Chronik zu Weihnachten 1912, einen Tag bevor der älteste Bierkeller Salzburgs in neuem Gewand einer staunenden Öffentlichkeit präsentiert wurde. Wie kam es allerdings zu einer so außergewöhnlichen Gestaltung, die man aufgrund der Bemalung, Möblierung und Beleuchtung im Stil der Wiener Sezession getrost als Gesamtkunstwerk bezeichnen kann? Die Anregung dazu holte sich Lucian Brunner, seit 1909 Miteigentümer des Hotel Pitter, auf der Frühjahrsaustellung 1912 des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie in Wien (heute Museum für angewandte Kunst). Dort präsentierte die Künstlervereinigung „Wiener Werkstätte“ neueste Keramik-Entwürfe, in einem von Professor Bertold Löffler (1874-1960) kunstvoll ausgemalten Raum.
Die Eindrücke jener Präsentation waren es schließlich, die den Hoteleigentümer veranlassten, den Hauptraum des gerade renovierten Volkskeller im selben Stil einrichten bzw. ausmalen zu lassen. Die Bezeichnung „Volkskeller“ führt einen in diesem Fall ganz nebenbei in die Irre, da sich besagte Räumlichkeiten im Hochparterre befanden, während im wirklichen Untergeschoß das Paracelsusstüberl zu finden war. Pläne für die Neugestaltung des Kellers sind im Stadtarchiv Salzburg nicht vorhanden, denn der langgestreckte, niedrige Raum mit den Maßen von 19×6 Meter war lediglich neu zu möblieren und zu bemalen, wofür keine Genehmigung von Nöten war.
Eine Zauberwelt
Professor Josef Hoffmann (1870-1956), Gründungsmitglied und einer der Hauptvertreter der Wiener Werkstätte, gestaltete die Gesamtheit des Mobiliars in volkstümlicher Einfachheit mit freistehenden Tische bzw. Nischenverbauung mit integrierten Sitzbänken. Farblich gehalten war die gesamte Einrichtung inklusive der Ausschank, der Türen, der Fensterrahmung sowie der Wandvertäfelung, die die untere Hälfte des Raums verkleidete, in Schwarz mit grüner Umrandung. Über der Wandvertäfelung reichte die Malerei Löfflers bis an die Decke, auf die in einem quadratischen Muster ein Sternenhimmel gemalt wurde und von der mehrere volkstümlich ausgeführte Lichterkronen künstliches Licht in den Raum warfen. Durch diese Kombination der schwarzen Einrichtung und der überaus farbintensiven Bemalung der Wände, fühlte sich der Besucher abends „(…) wie in einer Grotte, hineinversetzt in die phantastische Zauberwelt der Salzburger Volkspoesie.“[2]
Die Bezeichnung Zauberwelt ist für die Motivwahl von Berthold Löffler wohl kaum übertrieben, denn dem Gast eröffnete sich eine Aneinanderreihung von zahlreichen historischen oder auch fantastischen Figuren wie Kaiser Karl im Untersberg, Paracelsus, Venus, Amor, Riesen und Zwerge aus der Untersbergsage, Wolfgang Amadeus Mozart oder aber auch Fürsterzbischof Wolf Dietrich von Raitenau. Umringt und begleitet wurden diese Figuren und zahlreiche weitere von Putti und allerlei Blumen und Getier. Für sein Kunstwerk verwendete er ein die ganze Wand füllendes, unregelmäßiges Ornamentsystem, dessen asymmetrischen Rahmungen mit bunt gezackten Rändern, sich in Form und Größe nach den vorgegebenen Bedingungen des Raumes ausrichteten und jeweils eine der zahlreichen Figuren umschloss.
Den Stil dieser Wandgestaltung hatte der Maler bereits auf der Frühjahrsaustellung 1912 mit einem Antikenschwerpunkt dem Publikum präsentierte, jedoch geht dieser vermutlich auf Löfflers Kollegen in der Wiener Werkstätte Koloman Moser (1868-1918) zurück, der bereits 1903 auf mehrere Entwürfe für Wandverkleidungen die abgebildeten Figuren in ähnliche zellenförmige Rahmungen eingefügt hatte. Neben der wohl eigenwilligen Formgebung spielten wie in Wien auch im Salzburger Bierkeller die verwendeten Farben eine zentrale Rolle. So schrieb Ubell: „Fast ein wenig unruhig wirkt anfangs die grelle Buntheit (denn der Künstler hat die stärksten Akzente, Waschblau, Zinnober, Schwarz und so weiter nicht gespart), bis man merkt, dass diese ganze anscheinend regellose Farbigkeit ein System hat, das gewisse Farben an gewissen Stellen leitmotivisch wiederkehren und eine Art koloristischen Rhythmus den Raum durchwaltet.“[3]
Bildpostkarten geben Zeugnis
Diese offenbar sehr intensive und lebhafte Farbgebung war sicher Teil des Gesamtkonzepts. Leider kann die Atmosphäre dieses einzigartigen Raumes, der bedauerlicherweise 1925 ein Raub der Flammen und in dieser Form nicht wieder hergestellt wurde, durch die wenigen vorhanden Schwarz-Weiß-Fotos bzw. die hier noch zu behandelnden Bildpostkarten in keiner Weise eingefangen werden.
Einer der Wirtschaftszweige der Wiener Werkstätte war der Vertrieb der um die Jahrhundertwende in Mode gekommenen Künstlerpostkarte, die sich neben der normalen Bildpostkarte großer Beliebtheit erfreute. Diese Karten „(…) bewiesen den engen Kontakt zwischen der Wiener Werkstätte und der Kunstgewerbeschule. Sie nahmen regelrecht eine Vermittlerrolle zwischen kunstgewerblichen und grafischen Arbeiten ein und erfüllten eine wichtige Rolle im Bereich der Information und Werbung, besonders im Hinblick auf die Erreichung einer breiten Öffentlichkeit.“[4] Deren exklusive Gestaltung und auch die verhältnismäßig geringe Auflage führten zu einer Sammelleidenschaft, die bis heute ungebrochen anhält. Das Salzburg Museum bemüht sich seit einigen Jahren, die vollständige Serie dieser aufgelegten Volkskellerkarten in die Sammlung zu bekommen.
Wie bei allen Postkarten der Wiener Werkstätte, war auch diese Serie mit einer fortlaufenden Nummer versehen, in diesem Fall von Nr. 911 bis 920. Die letzten zehn Jahre gelang es der Sammlungsleitung, die Nummern 920 – Philippus Theophrastus Paracelsus (Ankauf 2007), 911 – Der Wächter auf dem Untersberg (Ankauf 2012), 919 – Kaiser Karl der Große im Untersberg (Ankauf 2015) und 914 – Venus und Eros (Ankauf 2016) zu erwerben.
Gemeinsam haben alle Motive, dass das märchenhaft Kindliche der Sage dem Stil der Malerei zu Hilfe kommt. So thront der schlafende Kaiser Carolus Magnus mit dem bekannt überlangen Bart, der für Herrschende typisch goldenen Krone und mit Sternen im Hintergrund, die an Kerzen am Weihnachtsbaum erinnern. Übrigens hat sich Löffler am Wandgemälde mit einem Selbstporträt verewigt, und zwar als Flöte spielender Zwerg zu Füßen des Kaisers – Zu sehen auf der Karte mit der Nr. 918, die in der Sammlung des Museums allerdings noch fehlt.
Zum reichhaltigen Sagenschatz in und um den Untersberg gehören auch die mit groben Keulen bewaffneten Riesen, die von Löffler an sechs Stellen im Raum gemalt wurden. Der „Wächter vom Untersberg“, mit einer brennenden Fackel in der Wiese sitzend, symbolisiert wie drei der anderen Riesen die Vier-Elementen-Lehre des Mittelalters in Form von Feuer, Wasser, Luft und Erde. Im direkten Vergleich zwischen Karte und einem alten Schwarz-Weiß-Foto des Kellers zeigt sich sehr gut, wie sich Löffler bei seiner Malerei einerseits an die Gegebenheiten des Raums anzupassen hatte aber andererseits auch optische Grenzen überschritt. So war die große Ausnehmung unter der linken Hand des Riesen durch eine Wandlampe erzwungen, während die Flamme der Fackel am Wandgemälde um die Ecke auf die nächste Wand reichte und nur für den Kartenabdruck verkürzt wurde.
Mit Theophrastus Bombast von Hohenheim, kurz Paracelsus genannt, der an einem Pult sitzend die Sterne betrachtet, wird auf einer weiteren Karte an die überaus reiche Vergangenheit von Salzburg erinnert. Die Szene unterhalb, die auf ein eher harmloses Zitat des Doktors zurückgeht, war einigen Gästen im Volkskeller dann doch zu freizügig und wurde nach einiger Zeit, von einer ungeschickten Hand mit wenigen Blumengirlanden übermalt.
Die vorerst letzte Karten in der Sammlung ist jene der Venus, die in der Kartenserie als Motiv für sich alleine steht, im Volkskeller aber in Kombination mit dem Minnesänger Tannhäuser erscheint, dem sie der Sage nach die Sinne verwirrt. Ohne heute nachvollziehbaren Grund hat ihn der Löffler als den Mönch von Salzburg, den Sänger deutscher Marienlieder in Erscheinung treten lassen. Dieser blickt über sein Messbuch auf die splitternackte Venus, die auf einem Delphin stehend eine blaue Kugel in der Hand hält. Ein fackeltragender Amor und zahlreiche Vögel begleiten sie. Diverse Details auf und zwischen beiden Bildern lassen sinngemäß auf erotische Motive der Tannhäuser-Darstellung schließen.
Neben den realen oder fiktiven Figuren, die durch die Kartenserie erhalten blieben, gab es im Volkskeller noch zahlreiche weitere Motive, die nach dem Brand nur noch schemenhaft auf den alten Schwarz-Weiß-Fotos zu sehen und leider unwiederbringlich verloren sind.
Es wird auch weiterhin Ziel der Sammlungsleitung sein, die Serie zu komplettieren, sind sie doch als Zeugen eines einzigartigen, wenngleich kurzlebigen Gesamtkunstwerk zu bewerten.
Der Abschluss dieses Textes soll dem bekannten österreichischen Dichter Max Mell (1882-1971) gehören, der zu Ehren von Löfflers Werk eine Ballade verfasste. Darin schriebe er, dass es die Aufgabe des Künstlers sei „des Volkes Urschatz“ zu heben, Wege „zur alten Heimat freizuhalten“ und „verwühlte Quellen aus der Tiefe“ ans Licht zu heben. Eine Aufgabe, die er beim Werk Löfflers wohl als erfüllt angesehen hat.
[1] Salzburger Chronik, 24.12.1912, S. 8
[2] Erika Patka: Bertold Löffler – Vagant zwischen Secessionismus und Neobiedermeier, Universität für angewandte Kunst Wien, 2000, S. 83
[3] Hermann Ubell: Bertolds Löfflers Wandmalereien im Salzburger Volkskeller, in: Kunst und Kunsthandwerk, 1914, S. 66
[4] Monika Oberchristl: Postkarten der Wiener Werkstätte, 2007