Im Frühmittelalter (450-1024 n. Chr) beginnt die Formung dessen, was bis 1816 das Fürsterzbistum Salzburg sein sollte. 2003-2004 wurde ein Gräberbereich im Hof des Kardinal -Schwarzenberg-Hauses ausgegraben, der vermutlich zum Umfeld der im Zentrum der Genese stehenden kirchlichen Einrichtungen, Domkirche und Kloster St. Peter, gehörte. Bemerkenswert hinsichtlich der Ausstattung ist darin die aus der Endphase der Epoche stammende Bestattung eines jungen Mädchens, die als Trachtbestandteil eine scheibenförmige Gewandspange aus vergoldetem Buntmetall aufweist.
Der Umbau des sogenannten Kardinal Schwarzenberg-Hauses Kapitelplatz 4-6 in der historischen Altstadt von Salzburg für Diözesanarchiv, Dommusik und Wohnungen machte eine Notgrabung auf einer Fläche von ca. 800 qm notwendig, die von der Landesarchäologie im Zeitraum 11. Mai 2003 und 29. April 2004 (Projekt „Domgarage“) durchgeführt wurde. Den Großteil der Finanzierung übernahmen der Bauträger Heimat Österreich und die Erzdiözese Salzburg, zu deren Wurzeln die Ergebnisse der Untersuchungen führen.
Unter massiven jüngeren Aufschüttungen von teilweise bis zu 4 Meter Mächtigkeit fanden sich 153 Skelette eines bereits 1958 von damaligen Salzburger Landesarchäologen Martin Hell (1885–1975) beim Umbau des Diözesanhauses (heute: Dombuchhandlung) angeschnittenen frühmittelalterlichen Friedhofes. Die Toten sind relativ einheitlich in West-Ost-Richtung in gestreckter Rückenlage beigesetzt, weshalb diese für das frühe Mittelalter charakteristische Art der Bestattung auch als Reihengräber bezeichnet wird.
Die Grabgruben waren mit Konglomerat-, Kalk- und Schottersteinen unterschiedlich sorgfältig ausgelegt. Die Lage der Knochen ließ in zahlreichen Fällen eine sehr enge Schnürung der Körper in Leichentücher erkennen. Holzreste deuten auf die Verwendung von Leichenbrettern oder Holzsärgen ohne Metallverbindungen hin. Der Kopf liegt manchmal auf einem sogenannten Kissenstein. Überschneidungen und Mehrfachbestattungen zeugen von einer dichten Belegung des Friedhofareals und einer Abfolge der Bestattungen über einen längeren Zeitraum.
Eine absichtliche Anordnung der Bestattungen in abgegrenzten Gruppen zeichnet sich durch eine einerseits sehr enge Belegung der Fläche und andererseits durch bis zu etwa 1,5 Meter weite Abstände zwischen den Grabgruben und der Anordnung in leicht versetzten „Reihen“ ab. Der Friedhof war im Süden durch eine Mauer begrenzt, in deren Fundament ein römischer Marmormörser und ein qualitätvolles römisches figürliches Marmorrelieffragment Verwendung fanden. Die Gräber lagen am Abhang des Festungsberges und spiegeln gut den Höhenunterschied der bereits aufgegebenen römischen Siedlungsterrassen wider, mit denen das Wohngebiet der römischen Stadt sich auch zum Festungsberg ausdehnte. Von Osten nach Westen und von Süden nach Norden besteht daher ein Geländesprung von etwa 2,20 Meter. Die römischen Baureste überlagerte stellenweise eine etwa 1 Meter starke Sandschicht, in welche die Grabgruben eingetieft waren. Ein genau über einer ehemaligen römischen Nebenstraße liegender Streifen blieb von Gräbern ausgespart, was auf die Existenz eines Weges hindeutet, der den Friedhof in Ost-West-Richtung parallel zum Hang querte.
Bis auf zwei Gräber waren sämtliche Bestattungen zum Zeitpunkt der Ausgrabung beigabenlos. Die im Laufe der Jahrhunderte vergangene Kleidung von Skelett 84 war mit einer Beinnadel im Bereich der rechten Schulter befestigt. Die einfache Nadel mit schlitzförmiger Öse ist chronologisch wenig aussagekräftig. Ein fragmentierter Silberohrring (Typus Körbchenohrring) des 7./8. Jahrhunderts am Ohr einer Frauenbestattung aus dem von Martin Hell ergrabenen Bereich gab hier erste Hinweise auf den zeitlichen Rahmen des Friedhofes. Weitere wichtige Hinweise werden jedoch einen Befund der neueren Grabung verdankt.
Nur etwa 1 Meter nördlich der Begrenzungsmauer, also weit oben am Abhang des Festungsberges jenseits des Weges, befand sich eine in Sand und humoses Erdmaterial eingetiefte Grabgrube, die keine Befestigung durch Steine erhielt. In der Grube lag ausgestreckt Skelett 17, dessen rechte Körperhälfte in leichter Seitenlage nach Norden aufgekippt war. Auch der Schädel blickte hangabwärts. Ein in Nord-Süd-Richtung den Hang schneidender, wohl neuzeitlicher Graben zerstörte den Unterteil der Grabgrube und das Skelett unterhalb der Lendenwirbel. Vermutlich durch die Störung war der erhaltene Teil des rechten Oberarmes in den Brustbereich verschoben. Die enge Lage der erhaltenen Skelettteile lässt auch für diese Bestattung die Beisetzung in einem Leichentuch vermuten.
Die Grabgrube von Skelett 17 schneidet die Südwestecke des Grabschachtes einer älteren Bestattung (Skelett 19), deren massive Störung der Wirbelsäule und Rippen auf eine gezielte Beraubung im Brustbereich schließen lässt, die im gesamten Gräberfeld bei mehreren Skeletten feststellbar war.
Trotz der massiven Zerstörungen von Skelett 17 wurde gerade diese Bestattung zur archäologischen Sensation. Der Grund ist die Auffindung einer vergoldeten Bronzefibel im linken oberen Brustbereich knapp unterhalb des Kinns. An der Stelle des rechten Ohres befand sich am Schädel noch ein einfacher Bronzeohrring. Wegen der geschlechtsspezifischen Beigaben und der Zartheit des Knochenbaues wird dieses Skelett als junges Mädchen angesprochen.
Die Frauentracht mit einer Scheibenfibel, die mittig im oberen Brustbereich die Kleidung verschloss, gibt einen ersten wichtigen chronologischen Hinweis. Sie entspricht der in der jüngeren Merowingerzeit seit dem späteren 6. Jahrhundert aus dem Mittelmeerraum und damit aus dem romanischen Kulturkreis übernommenen Trachtform der Frauen. Sie ersetzt die bis dahin übliche germanische sogenannte Vierfibeltracht. An deren Stelle tritt nun in der Frauentracht ein über den Kleidern getragener Mantel, der auf der Brust mit einer Scheibenfibel zusammengehalten wird.
Weitere Anhaltspunkte zur Zeitstellung des Grabes ergibt die Machart und Dekoration der Fibel. Die Scheibenfibel besteht aus vergoldetem Bronzeblech. Die Ränder der Scheibe mit einem Durchmesser von 2,86 cm sind leicht ausgebrochen. Auf der Rückseite befinden sich Reste der angelöteten Tragekonstruktion aus Eisen. Bogenförmige Gravuren unter der Vergoldung beweisen die Fertigung des Schmuckstückes aus einem wiederverwendeten Blech. Die in die vergoldete Oberfläche gravierte Verzierung zeigt eine von einer Kreisrille eingefasste Kombination von Kreuz- und Vierpassmotiv. Die Freiflächen sind mit eingepunzten Kreisrillen verziert. Die Fibel weicht in Machart und Dekor deutlich von den mit Edelsteineinlagen verzierten Scheibenfibeln germanischen Typs der jüngeren Merowingerzeit ab. Der Gravurdekor ähnelt zwar westfränkischen Vierpassfibeln, die typologisch jedoch von der Fibel aus der Domgarage abweichen und noch in das 6. Jahrhundert datieren. Trotz ähnlicher Form ist die Salzburger Fibel auch deutlich von den Scheibenfibeln mit Pressblechauflage zu trennen, wie sie u.a. neben den fränkischen Kerngebieten besonders auch aus der Schweiz und Italien bekannt sind.
Unterschiede bestehen auch zu den emailverzierten Exemplaren des sogenannten karantanisch-Köttlacher Kulturkreises. Die erste Stufe des karantanisch-Köttlacher Fundhorizontes (Köttlach I) kann als Ausdruck einer im Ostalpenraum beheimateten karantanischen Mischkultur des 7. Und 8. Jahrhunderts aus merowingischen und spätawarischen Elementen verstanden werden. Die jüngere durch gegossene Massenware gekennzeichnete und vom frühen 9. bis in das 10. Jahrhundert laufende Phase II ist durch Einzelfunde in Salzburg häufiger belegt und gehört zu der weite Teile Europas erfassenden karolingischen Reichskultur. In dieser jüngeren Phase sind jedoch neben den Emailscheibenfibeln auch solche aus dünnem Bronzeblech mit ziselierter Verzierung verbreitet.
Der in sich verschlungene Dekor der Fibel erinnert an zwei im 8. Jahrhundert entstandene herausragende Sakralobjekte, die mit der insularen (irischen) Kunst verbundenen sind: den Tassilokelch und das Rupertuskreuz. Eine lokale Widerspiegelung insularer (irischer) Motive in der Gravur der Scheibenfibel aus Salzburg erscheint möglich. Besonders eng ist die Verwandtschaft der Scheibenfibel aus der Domgarage in Ausführung und Motiv mit einer Schmuckscheibe aus Bronzeblech, die zwischen 1949 und 1950 in St. Egidi in der Gemeinde Murau (Steiermark) im Zusammenhang mit frühmittelalterlichen Gräbern gefunden wurde und heute im Steiermärkischen Landesmuseum Joanneum aufbewahrt wird. Aus dem gleichen Kontext stammt ein einfacher, leicht kantig zusammengebogener Bronzedraht-Ohrring, der weitgehende Übereinstimmung mit dem zur Scheibenfibel gehörenden Ohrring der Bestattung aus der Salzburger Domgarage hat.
Bedauerlicherweise ist unbekannt, zu welchem der vier festgestellten Grüber in Murau die Schmuckscheibe die Schmuckscheibe gehört. Das stark fragmentierte Stück lässt eine verschlungene Kreuzornamentik mit Kreispunzen in den Freiflächen erkennen und zählt zu einer Gruppe von dünnen Blechfibeln mit ziseliertem Kreuzdekor, unter denen auch an die insulare Kunst angelehnte verschlungene Motive auftauchen. Sie sind in der Phase Köttlach II verbreitet.
Die Salzburger Fibel ist dem Zeitraum zwischen 800 und 900 n. Chr. – also dem 10. Jahrhundert – zuzuweisen. Sie ist daher jünger als der von Martin Hell 1958 gefundene Frauenschmuck und könnte damit das chronologisch obere Ende dieses Gräberfeldes markieren. Dem entspricht auch, dass die Grabgrube des Mädchengrabes mit der Scheibenfibel ältere Grabkontexte schneidet.
Die erfolgten Untersuchungen sind ein weiterer Baustein für die bislang rare archäologische Kenntnis der Siedlungsgeschichte der frühmittelalterlichen Stadt. Die Quellen erwähnen eine kleine befestigte Siedlung, das sogenannte „castrum superioris“, das zum Zeitpunkt der Ankunft Ruperts (696) wohl auf dem Festungsberg existierte. Erst mit der Einweihung des Virgildomes (774) decken sich archäologisch gesicherte Ergebnisse im Bereich der Domgrabungen mit historisch überlieferten Daten für eine Besiedlung im Tal.
Der aufgedeckte frühmittelalterliche Friedhof befand sich am Fuße des Festungsberges an einem vermutlich ins Tal führenden Weg nicht unweit des Domes. Zur genauen Beantwortung der Frage, wer die Zeitgenossen von Rupert und Virgil waren, wurden Anthropologen und Gerichtsmediziner hinzugezogen.
Eine endgültige Bearbeitung des Gräberfeldes erfolgt derzeit durch Frau Mag. Isabella Greussing (Universität Wien, Institut für Ur- und Frühgeschichte) im Rahmen einer Dissertation zu den frühmittelalterlichen Gräberfeldern Salzburgs.