Der Übergabe- und Erinnerungsschlüssel vom Salzburger Kommunalfriedhof

  • Entstehungszeitraum: 1885
  • Entstehungsort: Salzburg
  • Objektart: Schüssel
  • Autor/Künstler: Karl Fiedler (1837–1907)
  • Artikel-Autor: Urd Vaelske
  • Material/Technik: Gusseisen, Eisen, brüniert, tauschiert
  • Größe: L: 19,2 cm, B: Griff 6,4 cm
  • Standort/Signatur: Salzburg Museum, Inv.-Nr. K 3540/49
  • Physisch benutzbar: nein
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Mit der Fertigstellung des großen Haupt-Gittertors galt der Salzburger Kommunalfriedhof im Herbst 1885 als vorläufig baulich fertiggestellt. Aus diesem Anlass kam es zu einer feierlichen Schlüsselübergabe.

 

Bei diesem Schlüssel handelt es sich um ein einzigartiges Kunstwerk, das, wie sich zeigen wird, mit dem Öffnen und Schließen von Schlössern nicht viel zu tun hat. Wie jeder herkömmliche Schlüssel besteht er aus dem Griff oder der Reide, dem Schaft und dem Bart. Die Reide baut sich aus zwei unbekleideten weiblichen, mit den Rücken einander zugewandten Figuren auf. Die Körper sind stark überdehnt, biegen sich extrem durch und formen so die Rundung des Griffs. Den oberen Abschluss bilden die sich berührenden Hinterköpfe der Figuren und deren Haar, das in zwei gegenläufigen Locken zusammentrifft. Nach unten laufen die Leiber blattartig aus und enden in einer nach außen sich aufrollenden Volute. An der Stelle der Scham sitzt jeweils ein Früchtefeston, das wiederum von zwei blattartigen Stengeln gehalten wird. Diese haben ihren Ausgangspunkt in dem Beschlagwerk, das die Figuren stützt. Es ist zugleich das innere ornamentale Gerüst der Reide. Unterhalb der weiblichen Köpfe treffen die oberen Enden des Beschlagwerks von zwei Stegen umfasst zusammen, um nach unten in gegenläufigen Voluten zu enden. Zwischen ihnen sitzt eine halbrunde Blüte. Im unteren Teil der Reide hat das Beschlagwerk einen U-förmigen, am oberen Ende in Voluten mündenden Rahmen ausgeprägt, in dem ein weiblicher, mit einer halbrunden Blüte bekrönter Maskeron sitzt. Die beschriebene Abfolge zeigt sich auf beiden Seiten der Reide. Indem ihn ein korinthisches Kapitell bekrönt, ist der Schaft des Schlüssels wie ein architektonischer Pfeiler gestaltet und zeigt dadurch, obwohl das Kapitell das Bindeglied zur Reide ist, eine geschlossene, gestalterische Einheit. Wie die Reide sind auch das Kapitell und der untere, aus krautartigen Blättern gebildete Abschluss des Schaftes aus Gusseisen gefertigt. Der Schaft selbst besteht aus brüniertem Eisen und weist einen Schriftzug sowie eine Efeu- und eine einfache Ranke auf, die in der Technik des Tauschierens gearbeitet sind. Bei diesem, im Vorderen Orient entwickelten Verfahren wird die Darstellung in die Oberfläche des unedlen Metalls eingeschnitten oder geätzt, das edle Metall eingelegt, mit der Oberfläche bündig gehämmert und poliert. Im Fall des Schlüssels handelt es sich um eine Goldeinlage, wobei das Gold des Schriftzugs dunkler als das der Ranken ist, was auf einen höheren Kupferanteil deutet. Oberhalb des Schlüsselbarts ist der Name „Fiedler“ in den Schaft graviert. Der Bart des Schlüssels schließlich ist aus blankem Eisen geschmiedet und besitzt die einfache Form des seitenverkehrten Buchstabens S.

Was es mit dem schönen Schlüssel auf sich hat, erklärt der in Gold eingelegte Schriftzug auf dem Schaft: „Comunalfriedhof Salzburg 1885“. Präzisiert wird diese Zugehörigkeit durch die schriftlichen Angaben auf dem erhaltenen, mit rotem Samt ausgekleideten Deckel des Original-Etuis: „Der Stadt-Gemeinde / Salzburg / in Ehrfurcht gewidmet / von / Carl Fiedler / Kunstschlosser. / 1. November 1885“. Darüber hinaus gibt ein längsrechteckiger Karton, der neben dem Schlüssel im Deckel liegt, ein weiteres Detail preis. In Tusche geschrieben steht dort: „Schlüssel zum Haupttor des Communal-Friedhofes.“

Folgende Informationen lassen sich aus diesen Angaben filtern: der Künstler des Schlüssels, das Datum der Widmung und damit auch das Datum, vor dem dieser Schlüssel entstanden sein muss, das Gebäude und der exakte Ort des Schlosses, zu dem der Schlüssel gehört, sowie die Körperschaft, in deren Besitz der Schlüssel übergegangen ist.

Zunächst zum Künstler. Karl Fiedler, geboren 1837 in Breslau, erwarb mit Kaufbrief vom 8. August 1863 die Schlossergerechtigkeit von Daniel Rumelstein (wohnhaft Priesterhausgasse 8) und beschäftigte zu diesem Zeitpunkt sechs Gesellen. 1866 beschrieb er sein Vermögen mit 5.000 Gulden an Warenwert und 3.000 Gulden an Buchungsforderungen. 1863 wurde Fiedler in den Heimatrechtsverband Salzburg aufgenommen und erhielt 1866 das Bürgerrecht. Seit 1868 war er Mitglied des Technischen Clubs Salzburg, der 1867 gegründet wurde und dessen Gründungsidee darin lag, das technische Wissen unter seinen Mitgliedern zu fördern, dasselbe der Allgemeinheit nutzbringend zuzuführen und für das Ansehen der Techniker zu wirken. 1869 heiratete Fiedler in München die von dort stammende Anna Maienberg. Aus dieser Ehe erwuchsen zwei Töchter und ein Sohn, der ebenfalls Schlosser wurde. Seit 1871 befand sich die Kunstschlosserei Fiedler im Rückgebäude der Linzer Gasse 27. Karl Fiedler starb am 27. Februar 1907. Josef Eder (Zur Erinnerung an den fünfzigjährigen Bestand des Salzburger Kommunalfriedhofes. Salzburg 1929) schreibt, dass seine Grabstätte nahe dem Haupttor auf dem Kommunalfriedhof liegt. Tatsächlich wurde er hier in einem heute allerdings überlagerten Grab (Gruppe 2) bestattet.

Zum Datum. Wenn, wie auf dem Deckel des Etuis vermerkt, der Schlüssel am 1. November 1885 der Stadtgemeinde Salzburg gewidmet wurde, muss es sich um einen offiziellen Akt gehandelt haben, über den eine Tageszeitung üblicherweise schreibt. Und tatsächlich: Das Salzburger Volksblatt vom 2. November 1885 war dabei und berichtete. Von der drei Spalten umfassenden Zeitungsseite nimmt die exakte Schilderung der Feier zwei Spalten ein, von der die wichtigsten Stellen hier zitiert werden. „Vorgestern [die Übergabe fand also schon am 31. Oktober statt] Nachmittags 3 Uhr vollzog sich auf dem neuen Friedhofe eine kleine Feier, zu welcher sich außer einer größeren Anzahl von Gemeinderäten mit dem Herrn Bürgermeister L. Scheibl an der Spitze, auch die Herren R.R. Neumüller, Ober=Ingenieur Dauscher, der städtische Bau=Inspizient Reisenbichler und Schlossermeister Fiedler eingefunden hatten. Zweck der Feier war die Uebergabe des Schlüssels zum neuen Friedhofgitter, das vor wenigen Tagen erst dem Orte seiner Bestimmung zugeführt worden war und nunmehr in aller Form dem Gemeinderathe der Stadt Salzburg zum Zeichen des vorläufigen Abschlusses des herrlichen Friedhofbaues überantwortet werden sollte“. Die Zeitung druckt die Ansprache von Ober-Ingenieur Dauscher zur Gänze ab. An einer Stelle sagt er: „Den Abschluss des Bauwerkes aber bildet heute das prachtvolle eiserne Ziergitter, welches hier den Haupteingang des ganzen Friedhofes gegen Außen zu abschließt und welches unser Meister, Herr Karl Fiedler, mit seltener Kunstfertigkeit … ausführte. Die Komposition der Zeichnung ist von dem k.k. Professor Josef Salb der hiesigen Staatsgewerbeschule; es soll nicht unerwähnt bleiben, daß auch von Seite des städtischen Bauamtes eine Zeichnung über dieses Gitter dem Gemeinderathe vorgelegt, jedoch wegen zu kostspieliger Ausstattung zur Vereinfachung zurückgegeben wurde, worauf Herr Professor Salb vom Stadtbauamte um die Umarbeitung ersucht wurde“. Er schließt seine Rede ab: „Unsern hochverehrten Herrn Bürgermeister aber bitte ich, den Schlüssel zu dem Prachtgitter des Friedhofes, aus den Händen des Meisters zur Aufbewahrung und Erinnerung an den heutigen Tag gütigst entgegen zu nehmen …“.

Über das Datum der Schlüsselübergabe hinaus liefert dieser Artikel des Salzburger Volksblatts wichtige Informationen: Die namentliche Nennung der Teilnehmer an dem Festakt. Die Feier gilt der Fertigstellung des Haupttores und damit dem vorläufigen baulichen Abschluss des Kommunalfriedhofs. Karl Fiedler hat nicht nur den Schlüssel, sondern auch das Gittertor gefertigt. Der Entwurf des Gittertores stammt von k.k. Professor Josef Salb. Der Schlüssel ist ein repräsentatives Geschenk an den Bürgermeister der Stadt Salzburg anlässlich der Torweihe, zum Schließen also nicht gedacht und nicht geeignet.

Vor der Kenntnis dieses Zeitungsartikels hatte die einfache S-Form des Schlüsselbartes, ganz abgesehen von der prachtvollen Ausstattung der Reide und des Schaftes, den Verdacht schon keimen lassen, dass für den Schlüssel keine praktische Funktion vorgesehen war. Nach dem 31. Oktober 1885 ist er in den Besitz des Bürgermeisters Scheibl und der Stadtgemeinde Salzburg übergegangen. Der Zeitpunkt, wann der Schlüssel dann in das Städtische Museum gelangte, ist nicht klar.

Die Tatsache, dass Schlossermeister Karl Fiedler das Haupttor des Kommunalfriedhofs nach dem Entwurf des Professors Josef Salb fertigte, führt zu der Vermutung, dass es sich bei dem Schlüssel ebenso verhielt. Josef Salb, 1845 in Wien geboren, war Architektur- und Entwurfszeichner. Er ging als einer der ersten aus der 1867 installierten Kunstgewerbeschule des Österreichischen Museums hervor, wurde 1876 an die Salzburger Gewerbeschule berufen, wo er bis 1903 lehrte. Salb war ein typischer Vertreter des Wiener Historismus. Die Ornamentik seiner Entwürfe greift auf die der Renaissance, des Barock und des Rokoko zurück. Das Gittertor des Salzburger Kommunalfriedhofs und der Schlüssel bestätigen das. Das zweiflügelige, 6 m hohe und 4,5 m breite Gittertor ist symmetrisch angelegt. Auf beiden Torflügeln sitzt jeweils mittig eine Flechtbandraute. Sie wird von Ranken umgeben, aus denen, wiederum symmetrisch, Blattmotive und behelmte männliche und weibliche Köpfe wachsen, die vielleicht Schutzcharakter haben. Barockmotive paaren sich mit Elementen aus der Renaissance. Markantes Beschlagwerk, mit zwei weiblichen Figuren besetzt, bildet dagegen das Grundgerüst des Schlüsselgriffs. Das Beschlagwerk war seit dem 16. Jahrhundert nördlich der Alpen in Verwendung. Die beiden weiblichen Figuren sind wiederum klassizistisch und entsprechen im Habitus ihrer geneigten Köpfe ganz den plastischen Darstellungen trauernder Frauen, die Ende des 19. Jahrhunderts auf zahlreichen Gräbern der Friedhöfe zu finden sind. Die Erwartung, dass die ornamentale Ausführung des Schlüssels zu der des Gittertores passt, wird also nicht erfüllt.

In seiner Einzigartigkeit war der Prachtschlüssel ein feierliches Symbol, nicht allein für die Fertigstellung des Tores und den vorläufigen baulichen Abschluss des Friedhofes, sondern auch dafür, dass die „Schlüsselgewalt“ nun in die Hände der Stadtgemeinde gelegt wurde. Der Schlüssel gehört in die Kategorie der Übergabe- oder Erinnerungsschlüssel, die die Daten und Namen des Anlasses eingraviert tragen und in schönen Etuis anlässlich einer Einweihung und Eröffnung an den Hausherrn oder Spender übergeben wurden.

Welcher Schlüssel damals zum Sperren des Friedhofstores benutzt wurde, ist nicht bekannt. Heute besitzt das Tor einen Zylinder, den ein handelsüblicher Schlüssel öffnen und schließen kann.