Das römische Dionysos-Ariadne-Relief

  • Entstehungszeitraum: 1. Hälfte 3. Jhr. n. Chr.
  • Entstehungsort: Salzburg
  • Objektart: Relief
  • Autor/Künstler: unbekannt
  • Artikel-Autor: Wilfried K. Kovacsovics
  • Material/Technik: Weißer Unterberger Marmor
  • Größe: H: 60 cm; B: 90 cm; T: max. 40 cm
  • Standort/Signatur: Salzburg Museum, ARCH 186-69
  • Physisch benutzbar: nein
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An der Nordmauer der Michaelskirche waren zahlreiche Römersteine eingelassen. Einer dieser Steine ist das Dionysos-Ariadne-Relief. Das Relief von der Michaelskirche gehört zu den qualitätsvollsten Stücken der lokalen provinzialrömischen Kunst, die das Salzburg Museum besitzt.
Auf dem einfach gerahmten Reliefbild sind Dionysos und Ariadne dargestellt. Die beiden Götter stehen aufrecht und in Frontalansicht vor uns, von Weinstöcken flankiert. Zwischen dem linken, um den sich eine Schlange windet, und der Figur des Dionysos saß ein Panther, der bis auf die linke Vorderpfote verloren ist. Eine Fotografie von 1955 führt allerdings vor Augen, dass dieser ständige Begleiter des Dionysos in Seitenansicht nach links ausgerichtet und vom linken Bein des Gottes zum Teil überschnitten, wiedergegeben gewesen war.
Dionysos selbst steht mit überkreuzten Beinen, locker und gelöst und mit dem linken Arm auf einen Pfeiler gestützt, von dem sich nur Andeutungen erhalten haben. In der Armbeuge liegt, schräggestellt, der Thyrsos (=weinlaub- und efeugeschmückter Stab der Bachantinnen), der nach unten vor seine Füße führt. Der rechte Arm ist in weit ausholender Geste über das Haupt geführt und spannt den Saum eines Mantels, der den Körper fast unverhüllt lässt und nur die Unterschenkel bedeckt. Das füllige Haar des leicht gesenkten Kopfes ist über der Stirne geknotet, vor den Schläfen sind Traubenbüschel zu sehen.

Ariadne ist bis hin zur Haartracht ähnlich gestaltet. Mit ihrer Rechten hält auch sie einen Thyrsos vor dem Pfeiler. Ihre Linke ergreift ein Stück des Mantels, der hinter dem Rücken niederfällt und, über den rechten Arm gezogen, auf der Höhe der rechten Hüfte hervortritt, um abermals nur einen Teil der Beine zu bedecken.

Den beiden Göttern gemeinsam ist ihre ruhige und entspannte Haltung. Ihr handlungsfreies Nebeneinanderstehen ist insofern selbst Motiv, als damit auf die Funktion des Reliefs als Teil eines Grabmonumentes angespielt wird.

Wir wissen, dass Dionysos, Sohn des Zeus und der Semele, als Inbegriff des Wachstums, als Gott des Weines und der Fruchtbarkeit verehrt wurde, dass er, anders ausgedrückt, in seinem Spiel und Treiben die Kräfte der Natur und des Lebens vertrat und so auch häufig mit den unendlichen Tiefen der Erde und dem Jenseits in Berührung kam. Für die bildende Kunst hatte er eine Erscheinungsform erhalten, die dem jeweiligen Wirkungskreis angepasst war; in der römischen Grabmalplastik figuriert er als jugendlicher, verweichlichter und häufig mit weiblich-grazilen Zügen aufgeputzter Gott.

Ariadne, Tochter des Minos und der Pasiphae – ursprünglich kretische Vegetationsgottheit – konnte, ihres späteren Schicksals wegen, das der Enge der minoischen Welt entband, geeignete Begleiterin und Braut des Dionysos werden. Mit ihr in Verbindung gelang es, die glückliche Stimmung des Jenseits heraufzubeschwören, die Verherrlichung eines paradiesischen Zustandes zu erzielen. Im übertragenen Sinn verhalf sie auch dazu, Überlegungen anschaulich zu machen, wonach sich der Mensch durch den Tod aus dem gewöhnlichen Dasein befreit.

Ein Vergleich mit den Darstellungen aus Rom oder anderen Gebieten des römischen Reiches zeigt, dass auf dem Salzburger Relief sonst obligatorisches Beiwerk fehlt. Nicht vorhanden sind Elemente wie das bukolische oder das ausgelassen-orgiastische, die zu einer atmosphärischen Verdichtung der dionysischen Welt hätten beitragen können.

Auch auf das sinnlich-erotische Moment scheint kaum Wert gelegt, obgleich Eros vielleicht in der (für die Götter) ungewollten, aber (für den Betrachter) nicht übersehbaren Nacktheit zum Ausdruck kommt. Dionysos und Ariadne sind darüber hinaus stellvertretend für die Verklärung und Apotheose (Erhebung von Toten in den Stand eines Halbgottes) von Verstorbenen eingesetzt, weil auf die Wiedergabe eines dem Mythos entnommenen Vorganges verzichtet ist. Im Gegensatz zum Relief aus Salzburg findet sich Dionysos z.B. auf stadtrömischen Sarkophagen (=Steinsarg) oft in den Rahmen einer mythologischen Handlung gestellt.

Erzählt wird u.a. die Auffindung der Ariadne durch ihn, nachdem sie von Theseus auf Naxos verlassen worden war. Dass dem hiesigen Bildhauer Sarkophage aus Rom bekannt gewesen sein müssen, lässt sich einem Detail entnehmen, das an der Figur des Gottes abgelesen werden kann. Die Haltung mit dem über den rechten Ellenbogen gezogenen Mantel taucht dort fast nur bei liegenden bzw. kauernden Figuren auf; so etwas an der schlafenden Ariadne oder bei Endymion, einer Gestalt, an die durch die göttliche Entrückung die Vorstellung vom frühen Tod jugendlicher Schönheit geknüpft worden ist. Als Beispiel sei ein aus Rom stammender Sarkophag des frühen 3. Jahrhunderts genannt, der sich heute in der Walters Art Museum in Baltimore, Maryland befindet. Die liegende Ariadne ist dort von verschiedenen Wesen umgeben, die zum Gefolge des Weingottes gehören. Dionysos wird aufrecht gezeigt, doch trunken und an einem Satyr gelehnt. Betrachten wir zudem einen Sarkophag in Pisa, so begegnet Dionysos zwar mit einer Gebärde, die sonst Schlafenden eigen ist, nicht aber mit übergekreuzten Beinen und an einem Pfeiler aufgestützt. Interessant ist auch, dass mit der Vereinzelung der beiden Figuren ein für sich selbst redendes Repräsentationsbild geschaffen wird. Das Salzburger Relief kennt keine anderweitigen Darstellungsinhalte als paradiesische Zuständlichkeit zu demonstrieren und das auf recht vordergründige Weise. Nur ein aus Köflach in der Steiermark kommendes Relief zeigt gewisse Ähnlichkeit; es erinnert insofern entfernt an das Beispiel aus Salzburg, als Dionysos und Ariadne darauf ebenfalls in Frontalansicht stehend und ohne Begleitfiguren dargestellt werden.

Das Relief von der Michaelskirche gehört zu den qualitätsvollsten Stücken der lokalen provinzialrömischen Kunst, die das Salzburg Museum besitzt. Sicher ist, dass es verschiedene ikonographische Besonderheiten aufweist, die über den stadtrömischen Einfluss hinausweisen. Der Bildhauer hat mit Hilfe von Musterbüchern gearbeitet, die ihm Denkmäler und Typen aus dem Süden vermittelten. Er dürfte Motive unterschiedlicher Reliefgattungen verwertet haben, ist stilistisch aber bodenständig und ohne Verbindung zu einer bestimmten Kulturlandschaft geblieben.

Auf der in Resten erhaltenen rechten Seitenfläche des Reliefs setzt sich die Weinranke fort, die das Reliefbild oben beschließt. Dies bedeutet, dass hier wenigstens ein zweiter und wahrscheinlich ebenso mit einer dionysischen Szene geschmückter Reliefblock anschloss und, dass das erhaltene Fragment der spärliche Rest eines aufwendigen Grabmals ist, das in seiner Form vielleicht einer auch in den südlichen Teilen der Provinz Norikum (diese römische Provinz umfasste im Wesentlichen die heutigen Bundesländer Salzburg, Kärnten, Steiermark, Oberösterreich, Niederösterreich und Teile von Südbayern und Slowenien) bekannten Denkmälergattung entstammt.

Die schon mehrmals geäußerte Meinung, dass der Gläubige des Mittelalters im Relief Adam und Eva zu erkennen glaubte, bleibt zwar unbeweisbare Vermutung; von der Hand zu weisen ist ein solcher Gedanke allerdings nicht ganz.