Eine Gleinker Totenrotel in St. Peter

  • Entstehungszeitraum: 1497/1787
  • Entstehungsort: Gleink bei Steyr (OOe.)/St. Peter in Salzburg
  • Objektart: Pergamentrotulus
  • Autor/Künstler: unbekannt
  • Artikel-Autor: Gerald Hirtner
  • Material/Technik: Pergament/Karton
  • Größe: H: 17,5 cm; Radius: 3,5 cm
  • Standort/Signatur: Archiv der Erzabtei St. Peter, vacat (Lost Art; Kriegsverlust)
  • Physisch benutzbar: nein
  • Literatur:

    Oskar Dohle, Das Salzburger Landesarchiv in der NS-Zeit. In: Österreichs Archive unter dem Hakenkreuz . Innsbruck-Wien 2010, 587-622, hier 611-612.
    Dominikus Hagenauer, Abt Dominikus Hagenauer (1746 – 1811) von St. Peter in Salzburg, Tagebücher 1786 – 1810. Bd. 1. St. Ottilien 2009.
    Willibald Hauthaler, Die Nonnbergerrotel von 1508. Ein Beitrag zur Geschichte der klösterlichen Gebetsverbrüderungen und des alten Rotelwesens. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 39, 1899, 215-229, hier 218-219. Gerald Hirtner, Das Stiftsarchiv St. Peter in der NS-Zeit. In: Österreichs Archive unter dem Hakenkreuz. Innsbruck-Wien 2010, 708-719, hier 718.
    Gerald Hirtner, Netzwerk der Tugendhaften. Neuzeitliche Totenroteln als historische Quelle. St. Ottilien 2014, 20. Wilfried Keplinger, Eine Totenrotel von St. Peter aus dem Jahre 1503. Ein Beitrag zum mittelalterlichen Verbrüderungswesen. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 102, 1962, 77-90, hier 80.
    Peter Maier, Gleink. In: Ulrich Faust und Waltraud Krassnig (Bearb.), Die Benediktinischen Mönchs- und Nonnenklöster in Österreich und Südtirol. Bd. 3. St. Ottilien 2000, 650-688.

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An einen leeren Kokon erinnert ein zylinderförmiges Objekt aus Karton, das im Archiv der Erzabtei St. Peter verwahrt wird. Was einst wertvollen Inhalt in sich barg, ist heute nur noch Beleg für entwendetes Eigentum.

Das Corpus Delicti ist eine so genannte Totenrotel aus dem Jahr 1497. Entstanden im Benediktinerkloster Gleink bei Steyr, diente die Rotel der Mitteilung eines oder mehrerer Todesfälle an verbrüderte Klöster. Ein Klosterbote reiste über Wochen und Monate von einem Stift zum nächsten, um mit der Rotel im Gepäck die Trauernachricht zu überbringen. Die besuchten Klöster attestierten die Mitteilung mit einer schriftlichen Kondolenzbekundung auf der Rotel. Auf diese Weise wurde eine Pergamentrolle von mehreren Metern Länge vollständig beschrieben.

Diese Art der Todesmitteilung war im Spätmittelalter weit verbreitet, erhalten haben sich aber nur vergleichsweise kleine Reste. Nicht zuletzt deshalb sind die spätmittelalterlichen Totenroteln heute wertvolle Quellen der klösterlichen Memoria.

Die Gleinker Totenrotel gelangte 1787 nach St. Peter in Salzburg. Das Kloster Gleink war 1784 unter Kaiser Joseph II. säkularisiert worden. Sein letzter Abt, Wolfgang III. Holzmayr (1720-1791), war Professor an der Benediktineruniversität Salzburg gewesen, ehe er 1762 zum Vorstand seines Stiftes gewählt wurde.[1] Die Rotel übergab er wohl im April 1787, als ihn der Abt von St. Peter, Dominikus Hagenauer (1746–1811), anlässlich einer Wienreise zweimal an seinem Wirkungsort in Enns besuchte.[2]

Über die Gleinker Totenrotel wissen wir wenig, denn sie gilt heute als verschollen. Dass wir überhaupt von ihr wissen, verdanken wir einerseits einem äußerst knappen Hinweis in der Literatur[3] und andererseits der Hülle, die in St. Peter erhalten geblieben ist: Der Zylinder aus Karton misst 17,5 cm in der Länge und hat einen Innendurchmesser von 7 cm. Er ist außen mit schwarz-braunem Marmorpapier und innen zum Teil mit floral gemustertem Papier überzogen. Die Hülle weist Beschädigungen auf: Ein Deckel fehlt und auf dem gegenüberliegenden Deckel ist ein ca. 1,5 cm großes Loch durchgebrochen, das auf Gewaltanwendung hinweist. Es könnte auch vom Holzstab (umbilicus) herrühren, um den das Pergament in der Regel gewickelt wurde. Am Etikett ist folgender handschriftlicher Vermerk angebracht:

Rotula antiqua ex Monaste- rio Gleinc inferioris Austriae [sic!] de anno 1497. Donata a D. Wolfgango Abbate ejusdem Monasterii nostro D. Abbati Dominico 1787.

Die fehlerhafte Landesbezeichnung, der Akzessionsvermerk und die Schrift weisen darauf hin, dass das Etikett und möglicherweise auch die Hülle am Ende des 18. Jahrhunderts in St. Peter angefertigt wurden. Es ist bezeichnend für den Sonderstatus dieser Rotel, dass es in die Archivverzeichnisse von St. Peter keinen Eingang fand und die Hülle daher nicht etikettiert wurde.[4]

Welche Todesfälle angekündigt wurden und welchen Inhalt die Gleinker Totenrotel hatte, wissen wir nicht. Möglicherweise wurde in der Rotel der Tod des 1492 verstorbenen Gleinker Abtes Johannes I. mitgeteilt.[5] Vielleicht enthielt sie am Kopfstück eine Darstellung des Landespatrons (Hl. Florian), der Kirchenpatrone (Jungfrau Maria und Hl. Apostel Andreas) und des Landes- und Klosterwappens („in rotem Schild auf einem grünen Dreiberg ein stehendes grünes Kleeblatt“[6]), denn dies war durchaus üblich. Mit Sicherheit enthielt sie die Atteste der 1497 besuchten Klöster, die überwiegend im bayerisch-österreichischem Raum zu vermuten sind. Das verschollene Objekt dürfte mit den erhaltenen Roteln von Admont und St. Lambrecht vergleichbar sein.[7] Die angenommene Breite von etwa 17 cm entspricht exakt anderen Roteln dieser Zeit. Der Innendurchmesser der Hülle würde für eine Rotel von zumindest drei Metern Länge sprechen.

Die Entwendung der Rotel ereignete sich nach Aussage eines Salzburger Archivars im Jahr 1945, als besonders wertvolle Archivalien zum Schutz vor Bombentreffern in einem Bergwerk ausgelagert waren und dort von US-amerikanischen Besatzungstruppen aufgefunden wurden.[8] Obwohl die meisten Archivalien noch im selben Jahr an ihren Archivstandort zurückgebracht werden konnten, wurden etliche Objekte entwendet.[9] Der rechtmäßige Eigentümer ist heute mehr denn je daran interessiert, den Gleinker Rotulus zurückzuerhalten und ihn der Wissenschaft zugänglich zu machen.

In 1787, the Benedictine Abbey of St. Peter in Salzburg acquired a so-called obituary roll from the former Benedictine Abbey of Gleink in Upper Austria. The roll consisted of several pieces of parchment, 17 cm wide, that were joined and 3 meters long when unfurled. It contained handwritten entries in Latin dating back to the year 1497. The obituary roll was presumably stolen in 1945 by US-American troops. Only the cardboard cover has remained in Salzburg.

[1] Hagenauer, 2009, Bd. 1, 14 und 315; Hirtner, 2014, 219; Archiv der Erzabtei St. Peter, Hs. A 593, 82.
[2] Hagenauer, 2009, Bd. 1, 78 und 90.
[3] Hauthaler, 1899, 218-219: „Im Stiftsarchive von St. Peter befindet sich ein derartiger Rotulus von [/] 1497, welcher aus Gleink in Oberösterreich stammt und nach der Aufhebung durch den letzten Abt Wolfgang dem Abte Dominicus von St. Peter 1787 verehrt wurde.“
[4] Vgl. unter anderem Archiv der Erzabtei St. Peter, Hs. A 995, 39.
[5] Maier, 2000, 683.
[6] Maier, 2000, 688.
[7] Hauthaler, 1899, 218.
[8] Keplinger, 1962, 80 schreibt, der Gleinker Rotulus sei „lt. frdl. Mitteilung von Hofrat Dr. H.[erbert] Klein 1945 im Bergungsort Dürrnberg ein Opfer überseeischer Andenkenjäger geworden.“
[9] Dohle, 2010, 611-612; Hirtner, 2010, 718.