Emigrationspatent vom 31. Oktober 1731

  • Entstehungszeitraum: 31. Oktober 1731
  • Entstehungsort: Salzburg
  • Objektart: Archivalie
  • Autor/Künstler: Hieronymus Cristani von Rall (Hofkanzler)
  • Artikel-Autor: Ulrike Engelsberger
  • Material/Technik: Papier, Druck, aufgedrücktes rotes Lacksiegel
  • Größe: H: 82,2 cm B: 45,5 cm
  • Standort/Signatur: Salzburger Landesarchiv, Graphik IV. 02
  • Physisch benutzbar: ja
  • Literatur:

    Reformation Emigration Protestanten in Salzburg. Katalog der Ausstellung 21. Mai – 26. Oktober 1981 Schloß Goldegg Pongau Land Salzburg, hg. Land Salzburg. – Salzburg 1981.

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Das Emigrationspatent wurde am 31. Oktober 1731 vom Verfasser dieses Patents, Hofkanzler Hieronymus Cristani von Rall, und von Erzbischof Leopold Anton Eleutherius von Firmian eigenhändig unterzeichnet. Der Salzburger Erzbischof erließ darin den Befehl, dass alle Untertanen, die sich zum evangelischen Glauben bekennen, aus dem Erzstift Salzburg auszuwandern haben. Erst nach der militärischen Sicherung des Landes, da Aufstände befürchtet wurden, wurde das Patent am 11. November 1731, am Tag des Steuertermines zu Martini, in allen Kirchen verkündet und an öffentlichen Plätzen angeschlagen. Im darauffolgenden Winter bis Ende des Sommers 1732 verließen ca. 20.000 Salzburger aus Glaubensgründen ihre Heimat. Die meisten fanden in Ostpreußen ein neues Zuhause. Ein kleiner Teil der Emigranten wanderte nach Holland bzw. nach Georgia in Amerika aus.

Erzbischof Leopold Anton Eleutherius von Firmian, 1727 zum kirchlichen und landesherrlichen Oberhaupt des katholisch geführten Erzstiftes Salzburg gewählt, verfolgte zu Beginn seiner Regierung zunächst eine Politik der gemäßigten Gegenreformation. Besonders in den Gebirgsgauen des Erzstiftes, vornehmlich im Pinzgau und Pongau, war das Luthertum bereits sehr weit verbreitet. 1728 holte der Erzbischof aus Bayern die Jesuiten ins Land, um die protestantischen Untertanen zum „rechten“ Glauben zu bekehren. Als die Mission im Gebirge fehlschlug, ergriffen der Erzbischof und sein 1731 neu berufener Hofkanzler Hieronymus Cristani von Rall, der zur Hauptperson des gesamten Emigrationsprozesses werden sollte, zu härteren Maßnahmen im Vorgehen gegen die Glaubensketzer, was ein noch intensiveres Zusammengehörigkeitsgefühl unter den protestantischen Untertanen bewirkte. Zur Solidarisierung der Protestanten trugen vor allem aber auch die geheim abgehaltenen Gottesdienste und Versammlungen bei. Bei einer geheimen Versammlung in Schwarzach am 13. Juli 1731 gelobten die Protestantenvertreter, sich zum protestantischen Glauben zu bekennen aber weiterhin die Befehlsgewalt des Landesfürsten in weltlichen Angelegenheiten anzuerkennen. Bekräftigt wurde dieses Gelöbnis durch eine symbolische Handlung. Die Abgeordneten tauchten ihre Finger in ein Salzfass, das in der Mitte des später nach diesem Akt benannten „Salzleckertisches“, stand. Ihre im Namen von 19.000 Glaubensbrüdern an die Vertretung der evangelischen Reichsstände, des Corpus‘ Evangelicorum, in Regensburg eingereichte Bittschrift um Hilfe gegen die wirtschaftliche und religiöse Unterdrückung in ihrem Land wurde nicht erfüllt.
Als Reaktion entsandte Erzischof Leopold Anton Eleutherius von Firmian eine Kommission, um die Namen der Evangelischen zu erheben. 20.678 Personen, ca. ein Fünftel der Gesamtbevölkerung des Erzstiftes, wurden erfasst. Nachdem auf Bitten der Salzburger Regierung kaiserliche Truppen zur militärischen Verstärkung in die Gebirgsgaue einmarschiert und 33 „Rädelsführer“ festgenommen worden waren, erfolgte am 11. November 1731 die Publikation des am 31. Oktober 1731 erlassenen Emigrationspatentes. Mit der darin vertretenen These, es handle sich bei den evangelischen Untertanen um Rebellen, die vom Erzbischof zur Emigration begnadigt würden, umging der Erzbischof die Bestimmungen des Reichsgesetzes, in denen zur Regelung der privaten Verhältnisse eine Abzugsfrist von drei Jahren vorgesehen war. Denn im Emigrationspatent stand geschrieben, wer sich nicht innerhalb von 15 Tagen zum katholischen Glauben bekehre, werde ausgewiesen. Da kein Beweis für eine Rebellion der Salzburger Protestanten erbracht werden konnte, stellten sich sowohl der kaiserliche Hof in Wien als auch das Corpus Evangelicorum gegen das Emigrationspatent und forderten vergeblich seine Änderung entsprechend den Bestimmungen des Westfälischen Friedens.
Zunächst war allgemein nicht klar, ob die Ausweisungsbefehle auch tatsächlich vollzogen werden würden. Allerdings zeigte sich unmittelbar danach die kompromisslose Haltung der Obrigkeit. Noch Ende November, mitten im einsetzenden Winter, wurden, ohne jegliche Vorbereitungen treffen zu können, 4.000 Unangesessene, also Knechte und Mägde ohne eigenen Besitz, von den kaiserlichen Truppen mit Gewalt bis zur Grenze gebracht, wo sie bis zum Jahresende ausharren mussten, weil Bayern und Österreich noch keinen Durchzug erlaubten. Und noch im Winter 1731 setzte die Ausweisung der Angesessenen, also jener Bauersfamilien, die Hof- und Grundbesitz besaßen, ein. Diesen wurde zumindest die Mitnahme von wenigen Habseligkeiten gestattet. An die 1800 Bauernhöfe mussten sie zurücklassen. War zunächst ungewiss, wohin die Emigranten ziehen sollten, so sicherte ihnen das Patent des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm I. vom 2. Februar 1732 eine ungehinderte Anreise und Aufnahme zu. Von Februar bis August 1732 verließen um die 20.000 Salzburger Protestanten in 16 Auswandererzügen ihre Heimat. Obwohl die Emigranten auf ihrer drei Monate dauernden Wanderung nach Gumbinnen in Ostpreußen zumeist auf ihren Raststationen freundlich als Glaubensbrüder empfangen wurden, so war die Reise dennoch mit vielen Strapazen verbunden, viele erkrankten oder erlagen der Überanstrengung. 12.000 vertriebene Salzburger fanden in Ostpreußen Aufnahme. Die dort herrschenden schlechten Siedlungsverhältnisse veranlassten manche zur Weiterreise nach Holland. Eine andere Gruppe nahm ihren Weg über Augsburg nach Nordamerika, wo sie sich in Ebenezer im Staate Georgia niederließ.
Die Emigration zog auch für Salzburg unausbleibliche Nachwirkungen nach sich. Neben einem Bevölkerungsverlust von einem Sechstel standen plötzlich 1800 Bauernhöfe verlassen da. Das war eine gewaltige Einbuße im Bereich der Landwirtschaft, die zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen des Erzstiftes zählte. In den folgenden Jahren wurden viele Höfe der Vertriebenen zur Hälfte bis zu einem Viertel ihres Wertes verkauft.
Das Schicksal der Emigranten fand großes Interesse in der zeitgenössischen Publizistik beider Glaubensrichtungen. Es erschienen zahlreiche propagandistische Schriften und Bücher insbesonders aber in graphischen Darstellungen, wie Bilderserien, Gedenkblättern, Schraubmedaillen, Landkarten, die den Leidensweg der Salzburger bei ihrer Wanderung nach Ostpreußen aufzeigten.
1953 wurde in Bielefeld der „Salzburger Verein“ für alle Nachfahren, der 1731/32 wegen ihres Glaubens aus Salzburg Vertriebenen, gegründet. In Erinnerung und als Zeichen der Verbundenheit mit den ehemaligen Bewohnern Salzburgs hat das Land Salzburg die Patenschaft über die „Vereinigung der Nachkommen Salzburgischer Emigranten“ übernommen. Als versöhnlichen Beitrag der Kirche hat 1966 Erzbischof Andreas Rohracher sein aufrichtiges Bedauern über die damaligen Ereignisse ausgesprochen und im Namen der „ganzen Erzdiözese die evangelischen Brüder und Schwestern“ um Vergebung gebeten.