Wir schreiben das Jahr 1907: Mit einer Mischung aus Verwunderung und Missgunst vermerkte der behandelnde Arzt, dass ihn der Patient duzte und von Kaiser Franz Josef I. nur als „Franzl“ sprach! Zu entnehmen sind diese Anmerkungen einem Patientenakt der „Landesheilanstalt für Gemüts- und Nervenkranke“ in Maxglan – heute als Christian-Doppler-Klinik bekannt. Der Patient über den so berichtet wurde, war niemand geringerer als Josef Ritter. Doch wer bitte war Josef Ritter?
Sein bemerkenswerter Lebensweg führt ihn, den Wirtshaussohn vom Fuße des Unterbergs, über mehrere Stationen bis an die Hofoper nach Wien. Geboren wurde Josef Ritter in Drachenloch bei Grödig am 3. Oktober 1859. Ritters Eltern unterstützten „ihren Seppl“ nach Kräften. Das innige Verhältnis Ritters, besonders zu seiner Mutter, manifestierte sich nicht nur in den Erzählungen von Zeitgenossen, sondern auch im prächtigen Begräbnis, dass er für sie in Salzburg nach ihrem Tod 1894 ausrichten ließ.
Nach dem Besuch der Volksschule in Grödig wechselte Richter in die k.k. Normal-Hauptschule in der Stadt Salzburg. Hier musste er, ebenso wie später in der k.k. Ober-Realschule eine Klasse wiederholen. Die Ober-Realschule besuchte er von 1872 bis 1874, ehe er nach der 2. Klasse aus der Schule ausschied. Auch seine Gesangsausbildung am Salzburger Domsingknaben-Institut währte nur kurz: In den Schülerlisten vom 3. März 1871 findet sich seine Name und am 2. Juni 1872 wird hier vermerkt: „Josef Ritter muss wegen ständigem Ungehorsam aus dem Institut entlassen werden.“ Trotzdem wurde er an der Violine mit „gut“ und an der Klarinette mit „sehr gut“ benotet. Um sich und seine Mutter über Wasser halten zu können, so wird berichtet, nahm er einen Nebenjob im Salzburger k.k. Theater an und sammelte so erste Bühnenerfahrung. Seine musikalischen Fähigkeiten verbesserte er auch als Klarinettist in einer Formation, die bei Hochzeiten und anderen Feierlichkeiten im Umfeld der Stadt Salzburg auftrat.
Laut Ritters eigenen Ausführungen wechselte er 1875 ans Konservatorium in München, um dort seine Ausbildung bis 1879 fortzusetzen. Vermutlich war mit „Konservatorium“ die „Königlich Musikschule“ gemeint. 1879 erhielt er sein erstes Engagement als Schauspieler und Sänger am Straßburger Stadttheater, ehe er 1880 Ensemblemitglied am Frankfurter Stadttheater wurde. In Frankfurt brillierte er unter anderem als „Melcthal“ in Gioachino Rossinis Wilhelm Tell.
Höhenflug in Hamburg
Doch erst sein Wechsel nach Hamburg (1881) ans dortige Stadttheater ließ seinen Stern am Opernhimmel aufgehen. Seit 1868 war hier bereits der österreichische Bariton Rudolf Freisauff von Neudegg (1827-1893) unter dem Theaternamen „Freny“ erfolgreich. Josef Ritter wurde als „intelligenter und eleganter“ Spielbariton gefeiert. In dieser Zeit sang er Wagnerpartien, wie jene des Steuermanns in „Tristan und Isolde“ im Jahr 1883. Im selben Jahr wurde ihm in Hamburg die „Große Silberne Rettungsmedaille“ verliehen – für welche Tat ist derzeit noch unbekannt. In Hamburg heiratet er auch die damals umjubelte Altistin Marie Goetze (1865-1922). Doch allerspätestens mit dem Ende von Ritters Engagement in Hamburg trennten sich auch die Wege des Ehepaares Ritter – auch wenn die Ehe nach derzeitigen Kenntnisstand nie geschieden wurde. Goetze erhielt im Herbst 1891 eine fixe Stelle an der königlichen Berliner Oper. Bereits zuvor nahm sie regelmäßig Auftritte in New York wahr und um die Jahrhundertwende nahm sie bereits Schallplatten z.B. bei Anker-Record oder Gramophone Concert Record auf. Der Abschied der beiden aus Hamburg ist wahrscheinlich auch der Grund für die Widmung eines Lorbeerkranzes. Laut Gravur wurde dieser am 19. April 1890 „Dem hochverdienten Künstlerpaar Herrn Josef Ritter und Frau Gemahlin“ von einem unbekannten Gönner „G.S. & Frau“ überreicht. Der Kranz mit den Maßen 22 mal 20 cm, besteht aus Silberblech und Messing und ruht auf einem roten Samtkissen.
Wechsel an die Wiener k.k. Hofoper
Im August 1889 trat Josef Ritter erstmals an der k.k. Hofoper in Wien im Rahmen eines Gastspiels auf. Er sang dabei die Titelrolle des „Hamlet“ in der Oper des französischen Komponisten Charles Louis Thomas (1811-1896). Kritik und Publikum waren von seiner Stimme begeistert und spendeten „rauschenden Beifall“. Wenige Tage zuvor war sein Auftritt bereits der Höhepunkt des „Oberösterreichisch-salzburgischen Sängerbundfest“ gewesen. Er blieb seiner Heimat weiterhin treu und gastierte z.B. beim Festkonzert der Mozart-Centenarfeier 1891 in der Stadt Salzburg. Bei diesem Fest trat übrigens auch sein Hamburger Kollege Rudolf Freny (Freisauff) auf. 1893 widmete der, ebenfalls in Wien lebende, Komponist Theobald Kretschmann (1850-1919) „seinem Freund und dem verehrten Künstler Seppel Ritter“ drei Lieder.
Ritter wurde an die Hofoper berufen und erhielt vorerst einen 3-Jahres-Vertrag. Sein Debut in fixer Anstellung gab er am 1. August 1891 als „Barbier“ im „Barbier von Sevilla“. In folgenden Jahren sang Ritter den Figaro in „Le Nozze di Figaro“, den Dr. Cajus in „Die lustigen Weiber von Windsor“ oder den John in „Das Heimchen am Herd“. Am öftesten trat er jedoch als „Gefängnisdirektor Frank“ in der „Fledermaus“ und den Peter in „Hänsel und Gretel“ vor das Wiener Publikum. Zusätzlich trat Ritter bei zahllosen anderen Gelegenheiten auf: So sang er 1894 in Anwesenheit von Johannes Brahms dessen „Ein deutsches Requiem“.
Der RĂĽckzug nach Salzburg
Langsam aber sicher zeichnete sich – aus stimmlichen Gründen – sein Karriereende ab. Bereits im April 1905 legte er sein Amt als Präsident des Österreichischen Bühnenvereins zurück. Am Samstag den 17. Juni 1905 endete schließlich seine bemerkenswerte Karriere an der Wiener k.k. Hofoper: An diesem Abend sang Josef Ritter letztmalig in der „Fledermaus“ eine seiner Paraderollen. Vermutlich zu seinem Abschied aus Wien erhielt er – so die Gravur – am 15. Juni neuerlich einen Lorbeerkranz, dieses Mal mit der Widmung „Dem unvergesslichen Künstler“. Wobei ihm sein sehnlichster Wunsch – der Titel eines Kammersängers – bis zum Schluss verwehrt blieb.
Nach seinem Rückzug von der Bühne übersiedelte Ritter mit seiner Braut, Adolfine „Fini“ Hauffe (1858-1912) nach Salzburg-Parsch in den Heffterhof. Die aus Wien stammende Hauffe war von 1871 bis 1895 Ensemblemitglied des k.k. Hofopernballetts und zuletzt eine der Solotänzerinnnen. Nach seiner Übersiedlung war Ritter noch voller Tatendrang und versuchte beispielsweise die Freimaurerei in Salzburg wieder heimisch zu machen. Er versuchte ein so genanntes „Kränzchen“ unter dem Namen „Mozart“ zu etablieren. Denn Ritter selbst war Mitglied der Freimaurer-Loge „Sokrates“ aus Pressburg. Mangels einheimischen Freimaurern setzte sich das Kränzchen aus Mitgliedern der Logen „Humanitas“, „Sokrates“, sowie der Münchener Loge „Zur Kette“ und des Reichenhaller Kränzchens „Bruderkette am Untersberg“ zusammen.
Krankheit und Tod
Doch im Mai 1907 machten sich bei ihm, anscheinend aus heiteren Himmel, religiöse Wahnideen bemerkbar. In seinem Krankenakt wurde vermerkt, dass er am Nachmittag des 30. Mai nach Wien fahren wollte, um mit Kaiser Franz Joseph I. „über die Geistlichkeit zu sprechen“. Am Vormittag des nächsten Tages tauchte er dann in den Räumlichkeiten von Fürsterzbischof Johannes Baptist Kardinal Katschthaler (1832-1914) auf und behauptete mit dem Segen des heiligen Ruperts zu handeln. Laut damaligen Zeitungsmeldungen nötigte er auch Passanten, sich niederzuknien, um ihnen den Segen spenden zu können. Im Laufe dieses Tages wurde Ritter schließlich, begleitet von Polizei und Ärzten, in die Landesheilanstalt Maxglan eingeliefert. Die Ärzte standen seiner Geisteskrankheit hilflos gegenüber und verordneten Bäder und unter anderem täglich fünf Gramm Brom. Eine Änderung seines Zustands trat dadurch nicht ein und so verloren die Ärzte bald Interesse an ihrem prominenten Patienten. Wurde er in der ersten Woche nach seiner Einlieferung noch vier Mal untersucht, so war kam der Arzt im zweiten Halbjahr nur mehr zwei Mal vorbei.
Der Chefredakteur des Salzburger Volksblatts, Rudolf von Freisauff von Neudegg (1848–1916), wurde vom Gericht zu seinem Kurator bestellt. Freisauff war der Sohn des Hamburger Sängerkollegen Ritters, Rudolf Freny (Freisauff), und ein Freimaurer wie Ritter. Am 21. Juni 1911 verstarb Josef Ritter in der Landesheilanstalt. Bei seinem von hunderten Menschen besuchten Begräbnis am 23. Juni in der Kollegienkirche, dem Dom bzw. am Salzburger Kommunalfriedhof waren zahlreiche Mitglieder des Ausschusses des Mozarteum, unter anderem der Direktor des Mozarteums, Josef Reiter (1862-1939) vertreten. Seine Braut verstarb nur sieben Monate nach ihm, und so wurde der Nachlass der beiden im März 1912 in Salzburg versteigert. Zwei Jahre später gelangten die beiden Lorbeerkränze über den damaligen Salzburger Bürgermeister Max Ott (1855-1941) in den Besitz des Salzburg Museum.
Warum ist Josef Ritter heute weitgehend vergessen? Wohl weil es von ihm, dem Sänger, am wesentlichsten fehlt: Tondokumente!