Es dürfte wohl nicht mehr viele Bewohnern der Landeshauptstadt geben, die sich noch an die Anfänge der Segelfliegerei an den Hängen des Gaisbergs erinnern können. Mittlerweilen sind 90 Jahre vergangen, seit sich tollkühne Piloten in selbstgebauten „Seifenkisten“ erstmals vom Hangwind des Berges in die Höhe und dann vom thermischen Aufwind über die Stadt tragen ließen.
Einschränkungen eines verlorenen Krieges, landschaftliche Gegebenheiten und der unbedingte Wille Einzelner, sich in die Lüfte zu erheben, führten dazu, dass sich der Hausberg der Salzburger für fast ein Jahrzehnt zu einem Mekka der Segelfliegerei entwickeln konnte.
Die Fotosammlung des Salzburg Museum ist 2018 in den Besitz eines unscheinbaren Albums gekommen, das 34 Fotografien aus den frühen Jahren der Segelfliegerei am Gaisberg und dem Stadtrand von Salzburg beinhaltet. Diese Aufnahmen verdanken wir einem heute unbekannten Piloten oder Segelflugbegeisterten und sind ein Fund des Museumsmitarbeiters Stephan Wagner, der dieses aeronautische Kleinod bei einem Salzburger Altwarenhändler entdeckte.
Die Wiederaufnahme des Segelflugs in Deutschland und Österreich
Mit den Verträgen von Versailles und Saint-Germain-en-Laye wurden dem Deutschen Reich und Österreich der Bau und Betrieb motorisierter Flugzeuge verboten. „Die Sieger des Weltkriegs hatten den Besiegten den Himmel gesperrt.“ Diese nüchterne Feststellung veranlasste ehemalige Fliegerasse, Feldpiloten, Flugzeugtechniker und Flugbegeisterte, sich der Planung und dem Bau von Segelflugzeugen zuzuwenden, weil dies nicht untersagt war. Die nun rasant einsetzende Weiterentwicklung der Segelfliegerei hatte ihr Zentrum zunächst auf der Wasserkuppe im westdeutschen Rhöngebirge, wo bereits ab 1920 internationale Segelflugwettbewerbe abgehalten wurden und nur vier Jahre später die weltweit erste Flugschule ihren Betrieb aufnahm. Kurz darauf kam es zur Gründung einer Flugschule bei Rossitten in Ostpreußen. Hier an der Ostsee, im ständigen Aufwind an den Dünen der Kurischen Nehrung, konnte der ehemalige Weltkriegspilot Ferdinand Schulz 1927 sämtliche Segelflugweltrekorde erringen. In Österreich wurde 1921 mit Gründung der Sektion „Gleit- und Segelflug“ des Verein für Luftschifffahrt in der Steiermark der Startschuss für die Nachkriegsfliegerei gesetzt. Salzburg zog vier Jahre später mit der Flugtechnischen Gemeinschaft nach, ihr folgte 1930 die Aero-Sektion der Salzburger Automobilclubs S.A.C.
Die ersten Flüge
Ganze vier Monate hatten die Brüder Heinrich und Wilhelm Soyka ab Herbst 1928 in den Werkstätten der Möbel- und Parkettfabrik Preimesberger in Schallmoos an einem eigenen Schulgleiter gearbeitet, der ein Nachbau des 1925 von der Rhön-Rossitten-Gesellschaft (RRG) entworfenen Modells „Zögling“ war. Der Segelflieger glich „(…) eher einer Seifenkiste mit Tragflächen als einer flugtüchtigen Maschine. Das filigrane Werk bestand nur aus einer dünnen Holzkonstruktion mit einem leichten Überzug und wog etwa 80kg“.[1] Der allererste Flug nahe der Landeshauptstadt fand dann allerdings nicht vom Gaisberg, sondern unter Beisein zahlreicher Schaulustiger vom verhältnismäßig kleinen Goiser Hügel bei Wals-Siezenheim statt. Den ersten Start vom Gaisberg am 27. Juli 1930 konnte sich jedoch kein Salzburger an die Fahne heften, sondern zwei Piloten aus dem bayerischen Rosenheim. Paul Konrad und Karl Seifert starteten mit ihren Segelfliegern Koro 4 und Koro 3 vom Plateau und landeten nördlich des Kapuzinerbergs bzw. nach einem Flug über die Stadt am Rande des Maxglaner Flugfeldes. Damit war der Startschuss gefallen und von nun an wagten sich auch die Salzburger zum Fliegen auf ihren Hausberg. So bewältigte der Salzburger Hans Wolf (1910-1992), ebenfalls in einem Zögling-Nachbau, im November desselben Jahres den Streckenflug vom Plateau zum Flugplatz Salzburg-Maxglan. Reger Flugbetrieb mit Rekordversuchen, Wettbewerben und Meisterschaften entwickelte sich in den kommenden Jahren. Der Gaisberg bot die ideale Ausgangslage dafür.
Der Gaisberg als Mekka der Segelfliegerei
Der international bekannte österreichische Segelflugpionier Robert Kronfeld (1904-1948) bezeichnete im Oktober 1932 den Gaisberg anlässlich einer Rede im Mozarteum als das beste Segelflug-Hochleistungsgelände in ganz Europa.[2] Zweifellos war die Eröffnung der Gaisbergstraße im Mai 1929 von unschätzbarem Wert für den Segelflugsport, konnten so die sperrigen Flugzeuge, die mitunter über 100kg Eigengewicht hatten, auf unkomplizierte Weise mit einem Auto zum Startplatz am Gipfelplateau, der Zistel- oder Judenbergalpe geschleppt werden. Entscheidend für Kronfelds Einschätzung dürften jedoch die geografischen Besonderheiten des Berges und die thermischen Gegebenheiten gewesen sein. Die Pyramidenrumpfform des Berges lässt Starts in jede Richtung zu, besonders effizient jedoch von der Zistelalpe und Judenbergalpe bei West- und Südwestwind sowie vom Startplatz Koppl am Ostrand des Bergs. Der Anschluss an die Hangaufwinde der umliegenden Gebirge ist leicht zu finden und lässt je nach anstehendem Wind lange Streckenflüge nach Norden, Süden oder Westen zu.
Starten mit einem Gummiseil
Ein kleines Spektakel stellte damals das Startprocedere dar. Während das Fluggerät von mehreren Personen gehalten wurde, liefen bis zu einem Dutzend anderer vor der Maschine los um ein Gummiseil zu spannen. Kurz vor der Dehngrenze des Gummis ließ die Haltemannschaft den Flieger los und dieser schnellte daraufhin in die Luft. Erst ab 1933 wurden, wenn möglich, Starts per Autoschlepp durchgeführt, was sich als wesentlich effektiver erwies.
Eigene Modelle werden gebaut
Sowohl die ersten Flugversuche Ende der 20er-Jahre auf den kleinen Hügeln rund um die Landeshauptstadt, als auch die Anfänge am Gaisberg, wurden vor allem in Flugzeugtypen der RRG durchgeführt, die von lokalen Flugzeugenthusiasten in Lizenz eigenhändig gefertigt wurden. Dies sollte sich ab dem Jahre 1932 ändern, als der Pfongauer Möbeltischler Sepp Engel (1907-1933) nach vierjährigem Auslandaufenthalt nach Salzburg zurückkehrte und mit dem Bau eigener Segelflugzeuge zu internationaler Bekanntheit gelangen sollte. Engel sammelte seine Erfahrungen als Designer, Konstrukteur und Pilot von Segelflugzeugen in Rossitten und auf der Wasserkuppe, was ihm ermöglichte, den Standartflieger „Zögling“ der RRG weiterzuentwickeln und zu einem überaus günstigen Preis in den drei Ausführungsvarianten „Gaisberg 10, 11 und 12“ anzubieten. Die überaus effizienten Flugzeugmodelle waren verstärkt, hatten bessere Flugeigenschaften und ließen sich einfacher zusammensetzen als ihre Vorgänger. Durch ihre Serienfertigung konnten Standardteile einfach ersetzt bzw. aus verunglückten Maschinen wiederverwertet werden. Bei einer groß angelegten Segelflug-Ausstellung im Carabinieri-Saal der Residenz, konnte Engel 1932 seine Kleinserie einer staunenden Öffentlichkeit und einer sehr wohlwollenden Presse präsentieren. Diese prophezeite der noch jungen Sportart enormen Zulauf und betrachtete das Gleiten über dem Gaisberg überdies als kommenden Tourismusmotor.[3] Aber nicht nur Lokalpolitiker und Wirtschaft maßen dem Segelflug enorme Bedeutung zu.
Politische Bedeutung des Segelfliegens über die Landesgrenzen hinaus
Der Segelflug gilt als Königsdisziplin des Fliegens, ist man ohne Motor nur auf sein Können und sein Wissen über Thermik angewiesen. Dass die besten Piloten aus dem Segelflug kommen, wussten nicht nur die Nationalsozialisten, sondern auch Politiker des Ständestaates. So weist Bundeskanzler Schuschnigg auf die vormilitärische Bedeutung des Segelflugs hin und erklärt den Österreichischen Luftfahrverband mit den vorhandenen Mittel zu unterstützen.[4] Die ehemals eigenständige Salzburger Segelfliegervereinigung sowie die Aero-Sektion es S.A.C. wurden im Oktober 1934 zum Österreichischen Aeroclub Landesverband Salzburg zusammengeschlossen. Ab 1935 wurden die Verbände schließlich militärisch umgestellt und autoritär geführt. Die bisherigen Obmänner wurden zu Gruppenführern und die Namen der Vereine gegen Nummern ausgetauscht.[5] Ab 1937 hieß der Salzburger Landesverband schließlich Segelfliegergruppe 401. So wäre es nur schlüssig, wenn die Nationalsozialisten die Segelflugausbildung der Jugend auf dem Gaisberg nach dem Anschluss 1938 weiter vorangetrieben hätten. Tatsächlich aber waren nach dem Anschluss Flüge vom Gaisberg nicht mehr erwünscht und spätestens aber dem Kriegsausbruch 1939 gänzlich verboten. Grund dafür war die militärische Bedeutung des Salzburger Hausbergs. Zum einen wurde auf dem Gipfelplateau eine Luftraumüberwachungsstation eingerichtet, zum anderen sollte eine Außenstelle des Ferdinand-Braun-Instituts an der Weiterentwicklung der noch frühen Radar-Technologie forschen.[6]
Die Nachkriegszeit
Nach dem 2. Weltkrieg war der Segelflug von den Alliierten vorrübergehend verboten worden und konnte erst 1950 wieder aufgenommen werden, was den Bemühungen unzähliger Flugenthusiasten zu verdanken ist. Die Zeit, vom Gaisberg zu starten und über der Stadt zu gleiten, war allerdings vorbei. Der Flugplatz Zell am See war das neue Zentrum für Winden- und Schleppstarts und schließlich wurde der Flugzeughangar auf der Zistelalpe abgebaut. Ab 1971 durften die Gleiter auch nicht mehr auf dem Flughafen landen und es verblieb nur das gepachtete Gelände in Koppl, über dem man sich zumindest bis Anfang der 1990er Jahre in die Lüfte kurbelte, aber sich den Luftraum bereits mit Drachenfliegern und Paragleitern teilen musste.
[1] Hanus Salz und Harald Waitzbauer: Im Flug über Salzburg. Igo Etrich und der Beginn des Flugwesens in Salzburg. Schriftenreihe des Landespressebüros, Salzburg 1993, S. 131
[2] Salzburger Volksblatt, 19. Oktober 1932, Seite 5 und 6
[3] Salzburger Chronik, 21. Mai 1932, S. 5
[4] Salzburger Chronik, 26. Mai 1937, S. 4
[5] Reinhard Keimel: Segelflug am Spitzerberg und Hundsheimer Kogel, Sutton Verlag GmbH 2010, S. 41
[6] Schriftenreihe des Vereins Freunde der Salzburger Geschichte: Geheime Kommandosache Gaisberg. Band 22, 1996