Wahrhafte Darstellung der mißlichen Lage der Stadt Salzburg und ihrer Bewohner in einer Einlage an ihren Stadtmagistrat

  • Entstehungszeitraum: 12. November 1816; 26. November 1816
  • Entstehungsort: Salzburg
  • Objektart: Libell
  • Autor/Künstler: Bürger der Stadt Salzburg; Munizipialrat der Stadt Salzburg
  • Artikel-Autor: Thomas Weidenholzer
  • Material/Technik: Papier, Tinte
  • Größe: 31x20 cm,10 beschriebene Seiten; 31x20, 26 beschriebene Seiten
  • Standort/Signatur: Stadtarchiv Salzburg, Pezoltakten 539
  • Physisch benutzbar: ja
  • Literatur:

    Robert Hoffmann, Salzburg im Biedermeier, in: Heinz Dopsch u. Robert Hoffmann, Geschichte der Stadt Salzburg, 2. Aufl. Salzburg 2008, S. 399–443.
    Fritz Koller, Vom „Kaiser“ bis zum Dachstein. Der Bayerische Salzachkreis, in: Bayern und Salzburg im 19. Und 20. Jahrhundert (Sonderveröffentlichungen der Staatlichen Archive Bayerns 4) (Schriftenreihe des Salzburger Landesarchivs 14 ), München-Salzburg 2006, S. 35–84.
    Grenzen überschreiten. Bayern und Salzburg 1810 bis 2010. Ausstellung des Salzburg-Museum, der Staatlichen Archive Bayerns und der Stadt Laufen. Salzburg und Laufen, 11. Juni bis 31. Oktober 2010 (Ausstellungskataloge der staatlichen Archive Bayerns 53) (Katalog zur Sonderausstellung im Salzburg Museum 31), Salzburg 2010.

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I. Wahrhafte Darstellung der mißlichen Lage der Stadt Salzburg und ihrer Bewohner in einer Einlage an ihren Stadtmagistrat
II. Einlaage des salzburgischen Municipialrathes an Seiner Majestaet dem Kaiser Franz. Als Begleitschrift zur vorigen Beylage Nr. I.

1816 wurde Salzburg Teil des Erzherzogtums Österreich ob der Enns und damit Teil der habsburgischen Monarchie. Aller patriotischen Propaganda zum Trotz war die materielle und soziale Lage der Bevölkerung trist. Das Jahr ohne Sommer, Missernten und Hunger prägten den Alltag. Beschwerdeschriften der Bevölkerung und des Munizipialrates der Stadt Salzburg schildern die verzweifelte Lage.

Als Salzburger Bürger und der Munizipialrat der Stadt Salzburg im November 1816 einen eindringlichen Hilfsappell an Kaiser Franz I. richteten, war Salzburg gerade einmal ein halbes Jahr Teil der österreichischen Monarchie.

Die Bewohner/innen der Stadt Salzburg hatten in den letzten eineinhalb Dezennien drei Mal eine militärische Besetzung durch die Franzosen erfahren und fünf Mal einen Regierungswechsel erlebt. Der letzte regierende Erzbischof hatte 1800 fluchtartig das Land verlassen, nicht ohne vorher die Kassen geplündert zu haben. Die Säkularisierung und die Rangerhöhung zu einem Kurfürstentum 1803 blieben leere Titel. Mit der ersten Angliederung an Österreich, 1805, büßte Salzburg seine Eigenstaatlichkeit ein. In der kurzen französischen Periode 1809/10 wurde das Land bis zum Letzten ausgepresst. Unter bayerischer Herrschaft verlor Salzburg vollends seine Selbständigkeit und ging in der übergeordneten Verwaltungseinheit des Salzachkreises auf. Die Stadt Salzburg wurde aber immerhin dessen Hauptstadt und Ort der Hofhaltung von Kronprinz Ludwig. Die Bayerische Konstitution von 1808, ein erstes verfassungsrechtliches Regelwerk, das modernen Prinzipien der Staatsgestaltung folgte, galt nun auch in Salzburg. Damit wurde aber auch die, auf ständischer Grundlage basierende, Landschaft als Repräsentationsorgan Salzburgs aufgehoben.

Die endgültige Eingliederung Salzburgs in Österreich am 1. Mai 1816 besiegelte den Abstieg Salzburgs in die Provinzialität. Salzburg sah sich als Teil des Erzherzogtums Ob der Enns und die Stadt lediglich als Sitz eines Kreisamtes wieder.

Plünderung, Einquartierung, die Zahlung von Kontributionen und die Requirierung von Vieh, Viktualien und Bedarfsgütern für die Armeen hatten Stadt und Land ruiniert und der Verlust der Residenzfunktion brachte herbe Einbußen für das Erwerbsleben.

Die Bürgerschaft wähnte sich daher berechtigt, „ihre gerechte Beschwerde … vor den Thron unseres erhabenen Monarchen zu bringen“. In den „harten Kriegsperioden“ hätte sie die „ungeheuersten Opfer“ gebracht, aber der persönliche Aufenthalt des Kaisers in der Stadt im Sommer hätte die „Hoffnung zur seeligsten Zuversicht“ gesteigert, eine Hoffnung, die täuschte. Neue direkte und indirekte Steuern belasteten das ohnehin devastierte Gewerbe, dafür waren Guthaben beim Staat nicht einbringbar. Der Großhandel sei erloschen, klagten die Bürger, „alle Kaufmannsläden leer“ und die „Handwerksstätten verödet. Über „hundert Familien gut besoldeter Beamten“ seien abgezogen, „kein Hof – keine Regierung – keine Universität“, „nicht der geringste Ersatz“. Die allgemeine „Verödung“ ließe „auf den Plätzen das Gras wachsen“.

Der Ausbruch des Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa ein Jahr zuvor, der größte Vulkanausbruch in der Geschichte der Menschheit, hatte verheerende und folgenschwere Auswirkungen. Die durchschnittlichen Temperaturen sanken weltweit um drei Grad Celsius. Ein nasser Winter, ein schneereicher Frühling, ein feuchter und kalter Sommer, ein winterlicher Herbst und ein verfrühter Wintereinbruch vernichteten Ernten oder dezimierten die Erträge. Im Gefolge des „Jahres ohne Sommer“ kam der Hunger.

In dieser Situation wirkte sich eine Bestimmung des Münchner Vertrages für die Salzburger/innen fatal aus: die Abtretung des Rupertiwinkels, der bisherigen Kornkammer Salzburgs, an das Königreich Bayern. Die Folge war ein exorbitanter Preisanstieg, vor allem bei Getreide und Brot. Der Preis, den man für einen Laib Brot (vier Pfund, das sind etwas mehr als zwei Kilo) zahlen musste, verteuerte sich im Lauf das Jahres 1816 um mehr als das Doppelte, von 17 auf 35 Kreuzer. 1810 hatte derselbe Laib noch acht Kreuzer gekostet, zu Jahresende 1817 musste man dafür bereits 45 bezahlen.

Der Bettel nahm zu und erreichte bisher unbekannte Ausmaße. Die Stadt registrierte 1.200 „Hausarme“, beinahe zehn Prozent der Bevölkerung. Am härtesten treffe es jene „Klasse“, klagte der Munizialrat , die „von zufälligem Verdienst“ lebe, „als so viele hundert Maurer, Zimmerleute und Taglöhner“. Hätte sich diese Klasse schon bisher nur „kärglich“ ernähren können, „so bietet ihr die lange Feyerzeit des Winters alles Schrekliche menschlichen Elends“. Die Menschen hätten nur die Wahl „zwischen Hunger oder Verbrechen“, während Spekulanten, „arbeitsscheu und lüstern nach leichtem Gewinn“, „als Vorkäufer für Aerarial-Lieferanten“ das Land leer kaufen würden.

Devot und unterwürfig, aber doch bestimmt, forderte der Munizipialrat im Namen der Bürger die Etablierung einer eigenen Regierung für das Herzogtum Salzburg, dem das Innviertel angegliedert werden sollte. Er forderte die Wiedereinführung der Stände und die Wiedererrichtung der Universität. Eine „Steuerpause“ sollte das Gewerbe entlasten und staatliche Getreideimporte den Wucher einbremsen. Und der Munizialrat fragte hoffnungsvoll: „Sollte das schöne Land, die schöne Alpenstadt, die herrlichen Residenzen nicht Einen der Erlauchten Prinzen des Erzhauses zum Sitze einladen?!“

Die Wiener Regierung beanstandete jedoch die „unziemende Schreibart“ der Petition, deren „Tendenz offenbar wohl nur dahin abzielt, die gegenwärtigen Regierungsverhältnisse durch ungünstige Vergleichungen in den Schatten zu stellen.“